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Burgdorf, Schweiz

Reiner Goldberg (1939-2023)

Lieber Reiner,

Zum ersten Mal sind wir uns bewusst im Foyer der Hochschule begegnet. Kann sein, dass Du mich schon zur Aufnahmeprüfung gesehen und gehört hast, ich weiss es nicht mehr.

Du warst damals Lehrbeauftragter an der "Hanns Eisler" und Ensemblemitglied der Staatsoper unter den Linden und ich ganz neue Studentin und noch fremd in der Grossstadt und im Land.

Du bist oft mit Studenten oder anderen Lehrkräften am Tisch gesessen und hast eine oder zwei geraucht. Damals durfte man im Foyer noch rauchen und entsprechend verraucht war es auch. Die Rauchschwaden zogen oft bis in die oberen Geschosse des offenen Gebäudes hoch. Wenn ich zurückdenke, hätte eigentlich nur noch der Getränkeausschank gefehlt und das Foyer wäre kaum von einer Kneipe zu unterscheiden gewesen. Es war schliesslich Dreh- und Angelpunkt für viele von uns und wichtig für Begegnungen jeglicher Art.

Ich hatte grossen Respekt vor Deiner bärbeissigen Art und Deinem für mich etwas seltsamen Akzent. Erst später als ich mehr über Deutschland und seine Akzente gelernt hatte konnte ich Deinen Akzent zuordnen. Sächsisch.

Durch meinen Gesang war ich Dir bald keine Unbekannte mehr und wir redeten häufig miteinander, und ich erkannte immer mehr, dass hinter Deiner auf den ersten Blick etwas düsteren Fassade ein sensibles, lustiges Gemüt und gutes Herz schlug. Ab und zu gabst Du mir auch den einen oder anderen Tip, was das Singen anbelangte. Die Hochschule war kein einfaches Pflaster um seinen Weg zu finden und das wusstest Du aus eigener Erfahrung.

Es war lustig zu beobachten, dass Du immer mit Gefolgschaft ankamst. Du warst eigentlich nie alleine unterwegs. Meistens begleitete Dich Meta, eine ältere Dame, manchmal eine andere jüngere, die ich als Deine aktuelle Freundin interpretierte. Es umgaben Dich immer viele Leute und Du warst ein geselliger Mensch.


Wir trafen uns ab und zu zu einem Café und tauschten uns aus. Ich erzählte Dir, was ich gerade machte, welche Rollen ich sang oder erarbeitete. Auch nach meinem Diplom hielten wir weiterhin Kontakt und Du kamst öfter zu Konzerten, die Dich interessierten.

Als ich ins schwerere Stimmfach wechselte suchte ich Deinen Rat. Wir trafen uns in der Staatsoper und Du hörtest Dir meine neu erarbeiteten Arien an. Du warst für mich ein Gradmesser. Du hättest mir auch glatt gesagt "Mädel, das wird nüscht". Doch stattdessen hast Du mir meinen Weg bestätigt und mich bestärkt darin, mir Repertoiretips gegeben. Wir arbeiteten öfter zusammen und Du hast mir geraten alles sorgfältig aufzunehmen und mir dann anzuhören.

Durch Dich habe ich mir ein Olympusgerät gekauft. Super Ding für meine Zwecke. Danke für den Tipp!

Du hast mir auch viele von Deinen eigenen Aufnahmen geschickt, die meisten waren private Mitschnitte und nicht auf CD oder Tonträger veröffentlicht, begleitet mit einem lieben Brief, der mir bis heute viel bedeutet. So habe ich einen wahren Schatz an gesungenen Partien von Dir für den ich dankbar bin.

Meistens tranken wir vorher oder hinterher noch gemeinsam etwas, meistens einen Café oder eine Cola. Inzwischen waren alle Innenräume zu Nichtraucherzonen geworden und auch Du hast das Rauchen aufgegeben. Du wolltest nie, dass ich Dich für den Unterricht bezahle. Ich lud Dich dafür ein und hoffte, dass ich Dir damit wenigstens eine Kleinigkeit zurückgeben konnte.


Mit der Zeit habe ich so Deine Lebensgeschichte erfahren.

Wie Du in der Lausitz aufgewachsen bist in recht einfachen Verhältnissen, erst mal einen Handwerksberuf lernen musstest und dann über das Sorbische Ensemble zum Gesang kamst. Sie haben Deine Stimme erkannt und gefördert. Wie Du dann die Aufnahmeprüfung gemacht hast in Dresden an der Hochschule für Musik und wie Du noch fast als Student erste Engagements bekamst, bereits im Heldrentenorfach, die Dich nicht nur gefordert, sondern auch überfordert haben. Deine Technik hast Du Dir Stück für Stück aus Erfahrung zusammengebaut, hast einige Rückschläge erlitten, bist aber immer wieder aufgestanden und weitergegangen. Das Wichtigste hast Du mir mitgegeben: Kiefer lockern und gleichzeitig die Atemmuskulatur loslassen und neu aufbauen. Du hast sehr viel über Deine privaten Mitschnitte gelernt und so immer weiter an Dir gearbeitet.


Dein Weg hat Dich dann in den frühen 70er Jahren nach Berlin an die Staatsoper unter den Linden geführt, wo Du alles in Deinem Fach gesungen hast. Deine Karriere trug Dich weit über die Grenzen der DDR hinaus an alle grossen Häuser der Welt. Du hast mit allen Grossen Deiner Zeit gearbeitet: Karajan, Bernstein, Barenboim und vielen anderen. Trotz Deines grossen Erfolges schienst Du immer Dir selber treu geblieben zu sein. Du warst offen, den Menschen auf eine positive Art zugewandt. Nicht wenigen jungen Sänger:innen hast Du mit Deinen Beziehungen Starthilfe zu einer Karriere gegeben, ohne Berechnung oder Gegenerwartung.

Du hattest keine Berührungsängste mit anderen Künstler:innen und hast deren Können immer anerkannt, egal in welcher Sparte.

Ich habe mich wahnsinnig gefreut, als Du mich zu Deinem 80. Geburtstag eingeladen hast, der in der Staatsoper unter den Linden gefeiert wurde. Du sangst ein Schubert Lied, begleitet von Daniel Barenboim am Klavier. Deine Stimme klang nach wie vor jung und hatte sein unverwechselbares Timbre. Bewundernswert. Wir sassen danach an einem sehr langen Tisch. Deine Kinder, Dein Enkel, Deine Freunde und Du und haben auf Dich und Dein Leben angestossen. Es war ein wunderschöner, feierlicher Nachmittag!

In den letzten Lebensjahren wurde Dein Weg einsamer. Viele Deiner Begleiter:innen sind gestorben. Deine Krankheit, die Dich viele Jahre begleitet hat, wurde sichtbarer. Du bist von Marzahn, wo Du bescheiden, viele Jahre gewohnt hast nach Weissensee in eine altersgerechtes Appartement gezogen. Auch das war typisch für Dich: Du hast viele Jahre in einer Wohnung in einem Hochhaus im Marzahn gewohnt. Nicht in einer Grossstadt-schicki-micki-Altbauwohnung oder einer Villa, die Deinem Können und Deiner Karriere entsprochen hätte. Ich habe Dich dort in Deinem neuen Kiez mit meiner Tochter Jalia ab und zu zu einem Café getroffen. Du hast Dich wahnsinnig gefreut, als Du erfahren hast, dass ich eine Tochter bekommen habe und als Du sie später kennen lernen durftest. Familie war Dir sehr wichtig und Kinder haben Dein Herz erwärmt.

Corona war furchtbar für Dich, weil Du nicht unter die Leute kamst. Corona hat so viele von uns einsam gemacht. Wir haben ab und zu telefoniert; Du hast mich immer zu Weihnachten angerufen und ich Dich auch ab und zu unter dem Jahr. Die Kommunikation wurde mit zunehmendem Alter schwieriger, weil Du nicht mehr so gut gehört hast und die Telefonate nicht so recht verstanden hast akustisch. Schreiben war nicht so Deins. Dennoch habe ich Dir immer wieder ein Foto von Jalia oder mir oder uns beiden gesendet mit einem kurzen Text, was gerade los war.


Ich weiss nicht, wann wir uns das letzte mal gesehen oder gesprochen haben. Es ist eine Weile her. Es war viel los in meinem Leben und ich hatte nicht viel Kraft für andere Dinge, dennoch habe ich sehr oft und mit Wärme an Dich gedacht.

Nun Anfang Oktober habe ich sehr viel an Dich gedacht und Du erschienst mir vor meinem inneren Auge, wie wenn ich eine Vorahnung gehabt hätte, dass Du bald auf Deine letzte grosse Reise gehen wirst.

Und nun bist Du auf die letzte grosse Reise gegangen. Du wirst mir fehlen. Als Mensch, als Künstler und als Freund. Danke, für alles, was ich von Dir lernen durfte und dass ich Dich die letzten 20 Jahre Deines Lebens begleiten durfte.

R.I.P.








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