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Burgdorf, Schweiz

Komponistinnen Teil 7- Ethel Smyth (1858-1944)

Aktualisiert: 9. Apr. 2021



Frühe Begegnung mit der Musik


Letzte Woche begegneten wir Johanna Kinkel, einer Vorreiterin der deutschen Frauenbewegung, Schriftstellerin und Komponistin, die 1858 in London starb.

Im selben Jahr wurde Ethel Smyth in England geboren.

Sie wuchs in einer typischen viktorianischen Familie gemeinsam mit fünf Schwestern und einem Bruder auf. Das einzig atypische in ihrer Familie war ihre Mutter Nina Struth, die in Paris aufgewachsen war und besser Französisch als Englisch sprach.

Die Kinder wurden von deutschen Gouvernanten aufgezogen. Eine dieser Gouvernanten war Pianistin, die am Konservatorium in Leipzig studiert hatte. Durch sie lernte Ethel schon früh Schumann, Brahms und Beethoven und deren Klavierwerke kennen und lieben. In Ethel reifte schon bald der Wunsch auch in Leipzig zu studieren, aber nicht Klavier sondern Komposition!

Das war in der damaligen Zeit eine grosse Männerdomäne. An vielen Hochschulen war es Frauen gar nicht möglich Komposition zu studieren. Doch ihre Eltern, besonders ihr Vater, verboten ihr dieses Studium.

Aufgeben war nicht Ethels Sache. Das temperamentvolle und willensstarke Mädchen, das zeitweise wegen "unerziehbarkeit" in ein Internat gesteckt wurde, kämpfte mit drastischen Mitteln für ihren Traum: Sie trat in Hungerstreik, strafte die Familie mit eisiger Kälte und Wortkargheit, verweigerte jegliche Aktivität, an denen sich junge Damen der viktorianischen Gesellschaft normalerweise zu beteiligen hätten, wie Bälle, Teestunden etc. zu besuchen. Schlussendlich gaben die Eltern widerwillig dem Psychoterror ihrer Tochter nach und Ethel durfte nach Leipzig ziehen und studieren.


Leipzig


1877 traf Ethel in Leipzig ein. Das Konservatorium war eines der wenigen, das auch Frauen den Zutritt zum Kompositionsstudium gewährte. Doch Ethel war enttäuscht. Die Professoren waren ihr zu unpünktlich, der Inhalt der Vorlesungen zu leer und mit zu vielen Anekdoten gespickt. Kurz: Ihr brennender Durst nach Wissen und Vertiefung ihres Faches wurde an der Hochschule nicht gestillt.

Mehr Glück hatte sie mit ihrem musikalischen Umfeld und den Freundschaften die sie ausserhalb der Hochschule schloss. Der Leiter des Gewandhausorchesters Engelbert Röntgen ermutigte Ethel mit dem Komponieren weiter zu fahren, nach dem er ihr erstes Rondo ernsthaft studiert hatte. Auch die Freundschaft mit dem Ehepaar von Herzogenberg war sehr wichtig. Heinrich von Herzogenberg, der Präsident des Bachvereins, erteilte Ethel Privatunterricht. Herzogenbergs nahmen Ethel auf wie eine Tochter, wobei sich zwischen Elisabeth von Herzogenberg und Ethel ein Liebesverhältnis entwickelte, das Heinrich nicht bemerkte, oder einfach ignorierte.

Im Hause von Herzogenbergs lernte Ethel Clara Schumann, Anton Rubinstein, Edvard Grieg und Johannes Brahms persönlich kennen. Mit Lili Wach, der jüngsten Tochter Mendelssohns, befreundete sich Ethel eng.

Zu Johannes Brahms hatte Ethel ein ambivalentes Verhältnis. Einerseits bewunderte sie ihn und seine Werke, anderseits hatte Brahms sie mit seiner Aussage über eine ihrer Kompositionen sehr verletzt. Als Brahms bemerkte, dass es eine Komposition von einer Frau war, die er gerade ernsthaft studiert hatte, legte er das Werk einfach beiseite. Es vermittelte den Eindruck, dass es unter seiner Würde als Mann war, sich ernsthaft über das kompositorische Werk einer Frau zu unterhalten. Es kam bei keiner Begegnung mit ihm zu einer ernsthaften Diskussion über eines ihrer Werke. Brahms wich jedesmal dem Diskurs aus und wechselte das Thema.


Kampf um Aufführungen und Anerkennung als Komponistin


Brahms zeigt die Haltung von einem Grossteil seiner Zeitgenossen wieder; er war bei weitem kein Einzelfall. Komponierende Frauen waren in der damaligen Gesellschaft sonderbar. Die Kritiker bemängelten oft, dass die Musik zu wenig "feminin" sei oder zu "maskulin". Die Werke von Frauen hatten einen sehr schweren Stand, wurden oft nicht ernst genommen und schon gar nicht als gleichwertig mit den von Männern verfassten Werken gesehen.

Doch zum Glück gab es auch Männer, die offen gegenüber den Werken von Frauen standen und diese objektiv beurteilten.

So fand Ethel im Dirigenten Bruno Walter einen Freund, Fürsprecher und Förderer, genauso wie im Kritiker George Bernard Shaw.

1882 verliess Ethel Leipzig und ging nach Florenz zur Schwester von Elisabeth von Herzogenberg Julia Brewster und deren Mann Henry Brewster. Doch Amor stiftete Zwietracht. Henry verliebte sich heftig in die eher lesbisch orientierte Ethel, was zum Bruch zwischen den Eheleuten führte und auch zwischen Elisabeth von Herzogenberg und Ethel, worunter Ethel litt. Erst nach Elisabeth von Herzogenbergs Tod 1892 vertiefte Ethel die Freundschaft zu Henry Brewster. Zu Beginn war es eine rein platonische Freundschaft, die sich dann erst in eine Liebesbeziehung entwickelte, die bis zum Tod 1908 von Henry Brewster anhielt.

Henry Brewster war ein grosser Opernliebhaber. Er brachte Ethel die Oper nahe und schrieb manches der Libretti für Ethels Opern.

1887 kehrte Ethel nach Leipzig zurück. Bis zu den ersten Erfolgen ihrer Kompositionen musste Ethel viele Misserfolge einstecken und eine Menge Kritik. In Leipzig begegnete sie Pjotr Illitsch Tschaikowski. Er beeinflusste ihre kompositorische Weiterentwicklung und ermutigte sie, sich noch mehr mit der Instrumentationslehre auseinander zu setzten, was dazu führte, dass Ethel anfing für grosse Orchester zu komponieren. 1893 traf endlich des langersehnte und hart erarbeitete Erfolg ein mit der Uraufführung der Messe in D in der Royal Albert Hall. Über Beziehungen war es Ethel gelungen Teile ihrer Messe der Königin Viktoria persönlich vorzutragen, so dass diese ihr die Zusage eines Besuches zur Uraufführung gab. Diese Zusage wiederum hatte zur Folge, dass die Direktion der Royal Albert Hall über das Werk in Kenntnis gesetzt wurde und so eine Aufführung ermöglichte.

Trotz dieses Erfolgs sollte es für Ethel immer schwierig bleiben ihre Werke an renommierten Orten aufzuführen. Die Reisen von Opernhaus zu Opernhaus um Aufführungen zu erwirken, gestalteten sich sehr Energie aufwendig. Wenn ein Dirigent bereit war das Werk aufzuführen, stellte sich die Intendanz oftmals quer und umgekehrt.

Schliesslich fand sie in Herzog Carl Alexander von Weimar ein Fürsprecher. Ihre Oper "Fantasio" wurde in Weimar 1889 uraufgeführt und war ein Publikumserfolg. Die Kritiker lobten die Orchestrierung und bedienten die üblichen Klischees, was Kompositionen von Frauen anbelangte. Eines ihrer nächsten Werke "der Wald" wurde 1902 an der Staatsoper unter den Linden uraufgeführt mit mässigem Erfolg. Dasselbe Werk feierte ein Jahr später an der Metropolitan Oper in New York einen grossartigen Erfolg. So unterschiedlich kann ein Werk aufgenommen werden.

Dank Menschen wie Bruno Walter wurden Ethel Werke häufiger gespielt.

Für Komponist:innen ist es bis in die heutige Zeit wichtig entsprechende Förderer zu haben. Ob nun für Ethel Smyth ihre Rolle als komponierende Frau eher förderlich oder hinderlich war in ihrer Zeit, ist bis heute ungeklärt und sorgt für Dispute. Sie selber empfand ihre Rolle als Frau hinderlich. Sie hätte sich gewünscht nicht als komponierende Frau wahrgenommen zu werden, sondern einfach als Mensch, der komponiert. So dass ihre Werke objektiv beurteilt worden wären.


Frauenbewegung


In England brodelte es schon länger in den Haushalten. Die Frauen forderten mehr Rechte ein, unter anderem das Wahlrecht, und begannen sich politisch dafür zu engagieren. Bis 1908 entzog sich Ethel der Frauenbewegung. Der Tod von ihrem Freund Henry Brewster stürzte sie in eine persönliche Krise, die bewirkte, dass sie nun bereit war sich aktiv an der Frauenbewegung zu beteiligen.

Gemeinsam mit 200 anderen Frauen provozierte sie bewusst ihre Verhaftung, in dem sie gemeinsam mit den anderen Frauen Fensterscheiben einschlug. Dafür mussten die Damen zwei Monate ins Gefängnis.

Die Wirren des ersten Weltkrieges stoppten vorerst das politische Engagement von Ethel wieder. In dieser Zeit wandte sie sich wieder vermehrt dem Komponieren zu. Sie verbrachte die Zeit des ersten Weltkrieges überwiegend in Frankreich, wo sie als Röntgenassistentin arbeitete. Der Weltkrieg beeinflusste massgeblich ihr weiteres kompositorisches Schaffen.


Taubheit und spätes Schaffen als Komponistin und Schriftstellerin


Ab 1913 verschlechterte sich zunehmend das Gehör von Ethel. Trotz zunehmender Taubheit komponierte sie ihr Spätwerk "The Prison", das zu einem Erfolg wurde.

Gezwungen durch ihre zunehmende Taubheit verlagerte sie ihr Schaffen in die Schriftstellerei. Sie fühlte sich heftig zur 23 Jahre jüngeren Virginia Woolf hingezogen, der sie fast täglich schrieb. Der Briefwechsel, der beiden gleichermassen bereicherte, ist noch nicht veröffentlicht- man darf aber gespannt sein, da gerade Virginia mit Spötteleien nicht gespart hatte.

Ethel starb 1944 im Alter von 86 Jahren im Vollbesitz ihrer Geistigen Fähigkeiten.

Ihre musikalischen Werke gehören bis heute weder in England noch in Deutschland zum Standardrepertoire der Konzert- und Opernhäuser. Die 2009 gegründete Ethel Smyth Society bemüht sich um das Wiederaufführen der Werke und die Erforschungen Rund um die Person Ethel Smyth, so dass das Leben und Werk dieser aussergewöhnlichen Frau nicht in Vergessenheit gerät.



Eines der wohl bekanntesten Werke von Ethel Smyth, komponiert für die Frauenbewegung.

Quelle: YouTube






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