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Burgdorf, Schweiz

Alltag mit einem Schulkind oder die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie im 21. Jahrhundert

Seit wenigen Wochen geht meine Tochter nun zur Schule. Der Übergang von KiTa zur Schule ist ihr zum Glück nicht wirklich schwer gefallen.

Der einzige Wehmutstropfen ist das wirklich frühere aufstehen, als zu KiTa-Zeiten und zwar sowohl für sie als auch für mich.


Unser neuer Alltag

Mein Wecker klingelt nun jeden Tag unter der Woche um 6.00Uhr. Ich bin direkt nach dem Aufstehen ziemlich ungeniessbar für mein näheres Umfeld, so nach dem Motto "Klappe halten vor dem ersten Kaffee". Ich brauch eine halbe Stunde in Ruhe für mich in der ich meine Atemübung nach Wim Hof mache, hier die Anleitung für Interessierte: https://www.youtube.com/watch?v=M3hQfc1N3Dk) und duschen gehe. Danach bin ich ansprechbar.

Meistens ist dann 6.30Uhr und ich bereite das Frühstück zu, wenn es nicht mein Mann macht.

Um 6.45Uhr wird Jalia wachgeschmust.

Um 7.00Uhr gibt es Frühstück.

Um 7.15Uhr übe ich mit Jalia Geige.

Um 7.30Uhr ziehen wir uns an und gehen los Richtung Schule, die zum Glück fussläufig erreichbar ist.

Um 8.00Uhr gibt es einen Espresso für mich, aber bitte einen doppelten. Danach beantworte ich Mails, kopiere Noten, mache allgemeine Bürotätigkeiten und was sonst noch ansteht.

Ab 9.00 Uhr kann schon ein erster Schüler kommen.

Um 10.00Uhr kommen ganz sicher Schüler:innen.

Um 12.00Uhr übe ich selber für 1-2 Stunden.

Ab 14.00Uhr ist es wieder Zeit Jalia abzuholen.

Wir kontrollieren den "Briefkasten" und schauen ins Aufgabenheft, was ansteht und erledigen das, bevor sie losspringen und sich mit ihren Freundinnen treffen darf.

Bei mir kommen meistens Nachmittags noch Schüler:innen oder ich habe Proben für anstehende Projekte/Konzerte.

Gegen 18.30Uhr gibt es Abendbrot.

Ab 19.30Uhr wird es Zeit das Kind L A N G S A M bettfertig zu machen.

Meistens schläft es nicht vor 20.30Uhr und danach habe ich, wenn ich nicht noch dringend etwa auswendig lernen muss und nochmals eine halbe bis eine Stunde konzentriert arbeite, etwas Zeit für mich. Um 22.30Uhr sollte ich aber im Bett sein...ausser ich habe Proben oder/und Konzerte, dann wird es eben später.


Der kleine Unterschied zu anderen Berufen

Das ist ein ganz gewöhnlicher Tagesablauf, wie ihn eigentlich alle berufstätigen Mütter und auch Väter erleben. Die Ganztagsschule hier in Berlin ist ein Segen für uns und der Hort erleichtert vieles.

Dennoch sind es lange Tage in die viel reinpassen muss, mit wenig Zeit für sich selber und ich erlaube mir auch zu behaupten, dass es für uns freiberuflichen Musiker:innen noch einmal straffer ist, als für jemanden, der einen "normalen" 9 to 5 Job hat.

Unser Beruf besteht oftmals aus sehr vielen verschiedenen Standbeinen, die es gilt unter einen Hut zu bringen. Bei mir ist ein Standbein das Unterrichten, das nächste die Konzerte, wobei ich da unterscheide zwischen "normalen" und zeitgenössischen Konzerten, dann immer wieder Opernproduktionen, die entspreche Vorbereitung und Vorsingen etc. erfordern, die mit Reisen verbunden sind.

Das erfordert mit schulpflichtigem Kind ein sehr gut funktionierendes Netzwerk, eine gute Organisation vor allem, wenn Oma und Opa nicht um die Ecke wohnen. Und von allen Beteiligten viel Disziplin.


Frauen tragen meistens die Familie

Was mir in Gesprächen mit Kolleginnen auffällt ist, dass gerade die Mütter in den Familien sehr viel leisten und eigentlich 3-4 Leben in einem leben: Das der Mütter, das der Partnerin, der Freundin, das der Künstlerin, der eigenen Managerin, oftmals das der Lehrerin und eigentlich alle das der Haushälterin. Sie sind immer die Säule der Familie, die die Hauptarbeit des Haushalts aber auch der Erziehung und Betreuung der Kinder stillschweigend übernehmen. Eine Studie zeigt, dass nach wie vor in den meisten Fällen zwei Drittel der Hausarbeit von den Frauen gemacht wird. Es ist oftmals wie eine unausgesprochene Selbstverständlichkeit, die unsere Gesellschaft fast erwartet.

Wir Frauen haben uns über die letzten Jahrzehnte viele Rechte erkämpft. Das Wahlrecht (auch in der Schweiz hat der letzte Kanton ab 1990 den Frauen das Wahlrecht gegeben, spät aber immerhin ;) ) , das Recht auf ein eigenes Konto, das Recht arbeiten zu gehen, das Recht der Selbstbestimmung, das Recht auf Gleichberechtigung um nur wenige Dinge zu nennen. Und ja, es hat sich viel getan, zum Glück. Und dennoch ist es nach wie vor zu wenig.

Unsere Gesellschaft sollte nach wie vor an der Gleichberechtigung, auch in Sachen Löhne, Stichwort "Gendergap" und Gleichstellung der Geschlechter arbeiten und vor allem an der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Oder bedeutet Gleichberechtigung, dass wir Frauen arbeiten gehen, Kinder haben dürfen und gleichzeitig nach wie vor fast alle Aufgaben, die sonst noch anfallen erledigen? Also immer mehr Arbeiten bewältigen sollen?

Viele von uns haben das stillschweigend über die letzten Jahrzehnte getan und tun es bis heute. Und in der heutigen Zeit sind immer mehr Familien auf ein Doppeleinkommen angewiesen. Inzwischen ist es ein Luxus und eine Seltenheit, wenn eine Familie mit einem Gehalt gut über die Runden kommt.

Ein weiterer Minuspunkt für uns Frauen ist, dass wir in der Zeit, wo wir "nur" Teilzeit arbeiten oder unbezahlter Arbeit nachgehen auch weniger Geld für unsere Rente bekommen.

Nach wie vor sind sehr viele Frauen von Altersarmut betroffen oder bedroht. Eine Frau um die 40 müsste rein theoretisch bereits rund 100`000 Euro zur Seite gelegt haben um im Alter gut leben zu können. Das ist eine Menge Geld, doch viele haben gar nicht die Zeit und Möglichkeit sich intensiv um ihre Finanzen zu kümmern oder für spätere Zeiten Geld anzulegen. Ein Teufelskreis, den es auch gilt zu durchbrechen. Eine Meisterin darin ist Natascha Weglin, besser bekannt als Madame Moneypenny. Wer also Tips lesen möchte und ab und zu einen Podcast hören möchte zu diesem Thema (beim Putzen zum Beispiel ;) ) kann sich hier schlau machen:


Für viele von uns Frauen bleibt in einem solchen Alltag nicht viel Zeit für uns selber.

Eine Freundin hat mir erzählt, dass ihre nun grösseren Kinder erst gegen 22 Uhr im Bett sind. Danach hat sie endlich Zeit mit ihrem Mann in Ruhe über den Tag zu reden, was er erlebt hat, was ihn bewegt hat. Danach ist es meistens 23.30Uhr und er geht schlafen. Erst nach dieser späten Stunde hat sie dann noch etwas Zeit für sich, die sie nutzt Mails und SMS zu beantworten. Das erklärt mir, warum oftmals ihre Nachrichten bei mir zwischen Mitternacht und 1.00Uhr in der Frühe ankommen. Danach geht sie schlafen und und steht um 6.00Uhr wieder auf. Ihre Kondition bewundere ich sehr und frage mich oft, wie sie das alles schaffen kann. Und sie ist bei weitem kein Einzelfall.


Doch was müsste sich konkret ändern, dass wir Frauen in unserer Leistungsgesellschaft ein etwas entspannteres Leben hätten?

Es wäre sicher hilfreich, wenn die Arbeitszeiten allgemein flexibler gestaltet werden könnten. Also auch die Möglichkeiten bestünden von zu Hause aus zu arbeiten, wenn es notwendig und möglich ist. Es gibt zum Glück immer mehr Gleitarbeitszeiten. Das ist meines Erachtens ein Schritt in die richtige Richtung, so dass innerhalb von Familien beide Partner arbeiten können, und immer jemand beim Kind/ bei den Kindern ist, wenn es/sie zu Hause ist/sind.

Ich glaube auch, dass vieles mit einer besseren Kommunikation innerhalb der Familie delegiert werden könnte, so dass die Frauen auch punkto Hausarbeit mehr entlastet werden könnten und sie irgendwann nur noch 50% oder weniger der Arbeiten machen und anstelle der 2/3.

Dazu müssten aber viele von uns Frauen auch ihren Anspruch an sich selber bereit sein etwas runter zu schrauben, also nicht nach dem Motta handeln "Das bekomme ich alles alleine hin" oder "Wenn ich es mache ist es so gemacht, wie ich es haben möchte". Wenn jemand anders bereit ist zu helfen sollten wir es akzeptieren, dass die Dinge dann eben auf seine Art gelöst sind und nicht unbedingt, wie wir es gewohnt sind. Das muss aber keineswegs schlechter sein, sondern könnte auch eine Chance im Miteinander bieten.


In meinem Umfeld kenne ich bereits Familien, noch sind es wenige, wo dieses Modell der gleichberechtigten Arbeitsaufteilung in allen Bereichen gelebt wird und sehr gut funktioniert und ich glaube, dass wir auf lange Frist alle dahin kommen sollten und unsere Gesellschaft eigentlich nur davon profitieren kann.

Noch macht es uns die Gesellschaft nicht sehr leicht. Egal wie eine Mutter versucht ihr Leben zu leben und alles unter einen Hut zu bekommen, sie ist immer irgendwelcher Kritik ausgesetzt, viel mehr als die Väter. Oft werden Frauen, die arbeiten, eigenständig und autark sind, zeitweise auch weg sind auf Reisen, als Rabenmütter bezeichnet. Ein Begriff, der sehr negativ behaftet ist und eigentlich zu Unrecht, weil die Rabenvögel hervorragende Eltern sind.

Es gibt den Begriff vom "Rabenvater" auch, nur ist er längst nicht so geläufig wie die "Rabenmutter", das zeigt auch die Recherche über Wikipedia, wo ich auf den Begriff der Rabenmutter hingewiesen werde:

Auch hier brauchen wir mehr Toleranz innerhalb der Gesellschaft. Mütter müssen arbeiten und auch mal von der Familie weg sein dürfen ohne dass ihnen ein schlechtes Gewissen eingeredet wird von der Gesellschaft!


Manchmal beneide ich die Isländer:innen mit ihrer 4 Tage Arbeitswoche ein wenig. Ich kenne sehr viele in meinem Umfeld, die ihre Lohnarbeit in 4 statt in 5 Tagen einwandfrei erledigen und wenn sie offiziell in Teilzeit gehen dafür mit Lohnabzügen "bestraft" werden. Eigentlich müsste man den Arbeitnehmer:innen es ermöglichen ihre Arbeit in der Zeit zu absolvieren, die sie benötigen, ohne dass Lohneinbussen sind, wenn sie schneller Arbeiten, oder etwas langsamer. Das würde ein grosses Vertrauen Seitens der Vorgesetzten voraussetzen und eine grosse Selbständigkeit und Eigenverantwortung der Arbeitnehmer:innen.

Es geht ja eigentlich um die Arbeit, die gemacht werden muss und nicht um die Stunden, die wir für diese Arbeit absitzen. Es kann mir niemand erzählen dass er wirklich 8,0 Stunden pro Tag immer arbeitet. Meines Erachtens sind die heute vorgegebenen Arbeitszeiten nicht mehr zeitgemäss und auch nicht in jedem Fall produktiv, Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel.

In Deutschland wird eine Vollzeitarbeitsstelle mit 39,4 Stunden pro Woche beziffert, in Österreich sind es 38,9 Stunden pro Woche und in der Schweiz rund 42 Stunden pro Woche mit einer Obergrenze von 45 Stunden, je nach Branche 50 Stunden.

In Mitteleuropa wird viel gearbeitet, daran besteht kein Zweifel und wer soviel Arbeiten muss steht unter grossem Druck in unserer Leistungsgesellschaft und nicht jeder und jede ist diesem Druck gewachsen. Ich beobachte zunehmend, dass immer mehr Menschen vor dem Druck kapitulieren und Wege suchen ihm zu entkommen. Viele verzichten, wie schon oben erwähnt, auf einen Teil ihres Gehaltes um mehr Zeit für sich und ihr Leben zu haben.

Wenn wir dann andere Länder im Vergleich sehen, die bereits bei einer 4 Tage Woche angelangt sind, so dass die Menschen mehr Zeit für sich und ihre Familien haben ohne Lohneinbusse, so gesehen mit finanzieller Sicherheit, stellt sich für mich die Frage, ob es nicht auch anders gehen würde bei uns hier. Welcher Gesellschaft geht es besser?

Ich denke, dass sich diese Frage über die nächsten Jahrzehnte klären wird.


Eine andere Freundin hat mir neulich von einer Studie erzählt, die ich leider hier im Netz nicht finde, in der gesagt wird, dass eine optimale Work-Life-Balance so aussehen müsste:

1/3 Lohnarbeit

1/3 Nicht bezahlte Arbeit also Haushalt, Kinderbetreuung, etc.

1/3 Zeit für sich selber, wo man seinen Hobbys nachgehen kann.


Ich glaube, da haben wir alle noch viel zu tun, damit sich unsere Work life Balance auf lange Frist gesehen verbessert...

Also "Los an die Arbeit!" :)







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