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Burgdorf, Schweiz

Von der Rettung einer Uraufführung und einem Konzert im BKA Berlin

Aktualisiert: 2. Apr. 2022


Saure-Gurken-Zeiten

Januar und Februar sind meistens die Monate im Jahr, wo viele Musiker:innen von der "Sauregurken-Zeit" sprechen. Wenig los, einige Projekte vielleicht, die in der weiten Ferne stattfinden werden. Auch ich hatte mich auf diese Zeit eingestellt, doch dann kam es ganz anders:


Bereits im Dezember stand fest, dass am 22.3.2022 mein erstes Konzert in der renommierten Reihe "unerhörte Musik" stattfinden soll gemeinsam mit dem Pianisten Martin Schneuing. Das Programm dazu sollte 3 Uraufführungen von der Schweizer Komponistin Katharina Weber "Stüssi Lieder", dem jungen Komponisten Martin Ricon Botero "Hyperions Schicksalslied" und ein neuer Zyklus mit 10 Liedern von Samuel Tramin, enthalten und eine Deutsche Erstaufführung von Iris Szeghy und 3 weitere Liedzyklen von Andreas Staffel, Susanne Stelzenbach und Gabriel Irany. Bis auf einen Zyklus von Susanne Stelzenbach und Staffel waren alle Stücke neu für mich. Das hieß für mich, dass ich ab Mitte Januar Stück für Stück mit der Einstudierung anfing. Zeitgenössische Musik ist oftmals Rhythmisch schwer und von der Intonation her sowieso. Daher kann ich diese Musik nicht länger als eine Stunde am Stück üben, wenn sie ganz neu ist. Danach ist meine Konzentration erschöpft. Wenn ich die Struktur des Stückes verstanden habe, die Rhythmen und die Melodien und den Text macht es viel Sinn schon bald Proben mit dem Pianisten abzuhalten. Oftmals lebt zeitgenössische Musik aus dem Zusammenspiel zwischen den Interpreten in dem Fall zwischen Sopran und Pianist. Das Timing genau auszubalancieren bedarf einige Proben. So war es auch bei Martin und mir. Von Mitte Februar bis Ende Februar arbeiteten wir uns durch das lange Programm. Ab März liessen wir einige Stücke schon durchlaufen und feilten an den schwierigsten noch genauer.

Mitte Februar ereilte mich ein musikalischer Studierauftrag aus Neustrelitz. Am Landestheater sollte am 2.4.2022 über das Leben der Prinzessin Sophie Charlotte eine Oper von Torsten Harder uraufgeführt werden. Ich sollte die Hauptpartie einfach musikalisch studieren, das heisst ohne es auswendig können zu müssen. Bis 2.4.2022 war es noch eine ganze Weile hin und das Ende der Oper fehlte auch noch. Das klang alles ganz spannend, wenn auch etwas undankbar, da weder Proben noch Vorstellungen zugesagt wurden. Ich legte die Oper erst mal zur Seite. Anfang April sollte ein Videoprojekt stattfinden und eine Carmina Burana Ende März auch noch. Es war also auf einmal ungewöhnlich viel Arbeit, vor allem nach den letzten zwei Jahren.


Probezeit

Mit Martin probte ich in aller Ruhe. Es macht mir grosser Freude mit ihm zu arbeiten. Er ist in den Proben sehr geduldig, aber auch sehr genau.

Die Oper hatte ich mir soweit eingerichtet, dass ich sie im Prinzip ab Blatt von der Seite her hätte einsingen können.

Mit unseren Konzertvorbereitungen befanden wir uns am 12.3.2022 auf der Zielgeraden, noch 2 oder 3 Proben und das Konzert würde wirklich gut über die Bühne gehen können.

Am Sonntag 13.3.2022 klingelt am Vormittag mein Telefon. Herr Müller persönlich war am Telefon mit der Bitte, ob ich nicht die Sophie Charlotte mimen und singen könne bei den Proben in der kommenden Woche. "Wann ist die Premiere?" fragte ich. "Am 2.4.2022". "Also in knapp 3 Wochen. Ja, ich komme, sie können sich auf mich verlassen, sollten alle Stricke reissen." sagte ich.

Nun war Eile geboten. An diesem Tag übte ich die ganze Partie zum erstenmal mit Klavier. Jochen begleitete mich, so dass ich am nächsten Tag wirklich eine Hilfe und kein Hindernis sein sollte.


Proben an der Oper

Am nächsten Tag klingelte mein Wecker um 6.15Uhr. Um 9.00Uhr war ich im Theater. Frau Kaiser im KBB war sehr überrascht, wie alle. Niemand, auch ich nicht, hätte mit meiner Ankunft gerechnet. Eine Unterkunft wurde gefunden und so stand ich ab 12Uhr auf der Probebühne. Ich trug mir die Bühnengänge in den Klavierauszug ein. Es konnte nicht chronologisch geprobt werden, da einige Kolleg:innen noch krank waren. Stück für Stück lernte ich die Oper mit Bühnengängen immer besser kennen.

Am kommenden Sonntag sollte die Matinee stattfinden dazu. Da die Kollegin bis dahin krank geschrieben war sollte ich die auch singen. Gut. Das bedeutete, dass ich die Arie schon mal auswendig lernen musste. Schon in der ersten Woche wurde für mich ein neuer Vertrag ausgehandelt: Ich sollte bis zur Premiere Covern und dafür 2 Vorstellungen der 8 erhalten.

In dieser Woche war ich von 9.00-14.00Uhr und von spätestens 17.00-22.00Uhr im Theater um die Oper zu proben und lernen und parallel dazu das BKA-Konzert, das immer näher rückte. Ich begriff schnell, dass mir bei der Oper die Noten alleine und die Midifiles nicht wirklich helfen würden beim lernen. Also organisierte ich mir zwei mal einen Pianisten mit dem ich alle Anschlüsse und meine Rolle aufnahm.


Nerven bewahren und Schlaf finden

Nach der ersten Woche war ich aufgekratzt und hatte für mein Verhältnis wenig und unruhig geschlafen. Ich war dankbar, dass ich Freitag Abend zurück nach Berlin fahren und früh schlafen gehen konnte.

Samstag Vormittag war Probe mit Martin. Samstag Abend ging es zurück nach Neustrelitz. Sonntag sang ich die Matinee. Montag früh war Probe eigentlich mit der Kollegin, die wieder gesund sein sollte. Doch sie kam nicht und niemand wusste, wo sie war. Es stellte sich heraus, dass sie bis auf weiteres krank ist. Nun sollte ich doch auch die Premiere übernehmen und somit retten. Die Gerüchte, die bereits in der letzten Woche anfingen die Runde zu machen wurden zu sich selbsterfüllenden Prophezeihungen.

Als das feststand musste ich schweren Herzens erst mal die Carmina Burana absagen. Sie war genau zum gleichen Zeitpunkt wie die GP der Oper.

Montag fuhr ich zurück nach Berlin und direkt zum Proben mit Martin. Der Durchlauf mit Korrektur dauerte ungefähr 2,5Stunden.


Konzerttag im BKA

Dienstag früh lernte ich die Oper weiter auswendig. Es fehlten nach wie vor 2 Szenen, die ich noch nicht geprobt hatte im 3. Akt. Gegen 16.30Uhr fuhr ich ins BKA am Mehringdamm. Es war wie das Eintreten in eine andere Welt. Es liegt im 6. Stock. Von diesem kleinen Theater kann man die Dächer Berlins überblicken. Die Garderobe war sehr liebevoll hergerichtet mit Getränken, Snacks und Obst. Es war wirklich an alles gedacht worden von Rainer und Martin den beiden Organisatoren. Die Musikreihe "unerhörte Musik" existiert seit 1998 und präsentiert die ganze Spannbreite an hochkarätigen zeitgenössischen Interptret:innen und die Umsetzung der zeitgenössischen Musik.

Da das Konzert im Live-Stream übertragen wurde parallel zum live Publikum war ein Sound- und Lichtcheck wichtig. Wir gingen noch einmal alle schwierigen Passagen und die InsidePassagen für das Klavier durch.

Kurz nach 20h startete das Konzert. Ich war so sehr konzentriert, dass ich gar nicht bemerkte wie schnell die erste Hälfte vorbei war. Bei der zweiten Hälfte ging es mir genauso. Um 21.50Uhr war das Konzert zu Ende. Es gab einen Sektempfang hinterher, wo alle anwesenden Komponist:innen eingeladen waren. Leider musste ich gegen 22.15Uhr schon wieder los, da mein Wecker am nächsten Tag um 6.15Uhr wieder klingeln würde. Es war ein wirklich langes, vielfältiges Konzert, das mir viel Konzentration abverlangte aber genauso viel Freude machte. Von Martin am Klavier begleitet zu werden ist eine grosse Bereicherung. Er begleitet sehr virtuos und feinfühlig zugleich.


Wieder auf der Probebühne

Am nächsten Tag stand ich um 10Uhr auf der Probebühne. In der Mittagszeit wurde ich in die Schneiderei gebeten zur Anprobe. Am Freitag davor hatten sie meine Maße aufgenommen und in der Maske wurden die Perücken angepasst. Königin Sophie Charlotte soll in jedem Akt ein anderes zeitgemäßes Kleid haben. Zeitgemäß bedeutet mit originial Schnitten von 1760. Das ist unglaublich viel Arbeit: Unterrock, dann ein Kissen, dass die Hüfte breiter wirken lässt und die Stoffe darüber entsprechend fallen lässt, anpassen einer Korsage, etc. Das Kleid selber hat meistens auch noch mehrere Lagen und dann noch Details wie Rüschen, Halstuch und und und. Ich weiss nicht, wieviele Stunden es benötigt ein Kleid fertig zu stellen. Es sind sehr viele Stunden und die erste Komplettprobe sollte am nächsten Tag stattfinden...Eine Schneiderei kann wirklich viel, aber zaubern definitiv nicht. Entsprechend lagen die Nerven aller Beteiligten ganz schön blank.

Ich sang die lange Probe am Donnerstag komplett auswendig, wenn auch mit einigen Hängern und Fehlern, doch mit jeder Probe wurden es weniger. Das schwierige an diesem Stück ist nicht die Melodik, sondern der ständige Rhythmuswechel von 3/4 auf 4/4 auf 2/1 auf 5/1 etc. Ich muss dadurch ganz genau wissen auf welchen Schlag ich was singe. Das Libretto hat mit seiner "modern" verfassten Sprache auch ihre Tücken. Der Komponist hat nicht nur die Musik zur Oper gemacht, sondern auch den Text, was nicht in jedem Fall die beste Lösung ist.


Ruhe vor dem Sturm

Über das Wochenende fuhr ich nach Berlin zurück. Ich nutzte die Zeit und besserte alle Stellen, wo ich noch unsicher war nach. Sonntag Abend ging ich zurück nach Neustrelitz. Es war bereits die Endproben Woche. Nun war noch eine weitere Kollegin erkrankt an Corona. Sie würde die Premiere nicht singen können. Da ihre Rolle vor allem für das erste Bild wichtig war, aber es sonst nicht auffiel, wenn sie nicht dabei ist, wurde nun kurzerhand das erste Bild weggelassen...

Die erste Bühnenorchsterprobe war ein klingendes Chaos. Ich musste mich erst mal an den Klang des Zink gewöhnen, das oft meine Gesangspassagen begleitet. Ein Zink ist ein sehr altes Instrument, das seine Blütenzeit zwischen 1500 und 1700 hatte. Die Stimmung damals betrug höchstens 415Hz. Heute sind die Orchester auf 440, hier im Norden sogar noch etwa höher 441/442 Hz gestimmt. Entsperchend schwer ist es für den Zinkspieler in einem modernen Orchester sauber zu spielen...ein weiteres Instrument, das selten mit modernem Orchester zusammenspielt ist die Theorbe. Es hat einiges gebraucht, dass alles im richtigen Moment im richtigen Tempo zum klingen kam, sowohl bei den Musikern, als auch bei uns auf der Bühne.

Gestern war nun Generalprobe. Auch ohne das erste Bild waren wir glücklicherweise um 22h fertig und wir hatten um 19h angefangen, die Oper ist wirklich sehr lange.


Heute war nun ein freier Tag. Trotzdem ging ich noch einmal zur Anprobe in die Schneiderei. Bis morgen sollten die Kostüme fertig sein. Nach der Anprobe spazierte ich um den Zierkersee und repetierte noch einmal die Partie. Danach machte ich wie abgesprochen einen erneuten Abstecher in die Schneiderei. Es wurden die Korrekturen angepasst. Die Kostüme werden wirklich schön, richtige Kunstwerke.


Morgen findet nun also die Premiere statt. Irgendwie kann ich es noch gar nicht so recht glauben.

Es kommt mir so vor, als wären Jahre vergangen und nicht nur ein paar Tage oder Wochen. Die Partie der Sophie Charlotte ist lange. Von der Länge her mit Elsa in Lohengrin zu vergleichen und sie ist ständig auf der Bühne.

Eine solche Rolle in der kürze der Zeit einzustudieren und zum Leben zu erwecken ist sportlich, aber machbar, doch es kostet Kraft und das entsprechende Vertrauen in sich selber.

Nach den letzen zwei Jahren bin ich sehr dankbar für diese Herausforderung und Aufgabe. Ich freue mich darauf wieder auf der Bühne zu stehen mit meinen Kollg:innen und das Publikum mit in die Geschichte zu nehmen. Ich bin sehr gespannt, wie diese Uraufführung vom Publikum aufgenommen wird.


Auf eine spannende und gelungene Premiere!


Hier noch der Link zum BKA Konzert:



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