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Burgdorf, Schweiz

The Art of Singing- eine Masterclass, die ihrem Namen gerecht wird

Aktualisiert: 11. Juli 2021

Ich gebe es offen und ehrlich zu: Normalerweise bin ich skeptisch, was Meisterkurse anbelangt. Meistens sind sie sehr teuer und es wird oft nur an der Interpretation gearbeitet. Ein "W" da ein stimmhaftes "S" dort ein Schluss "T" da. Vielmehr schaut dabei nicht heraus, ausser dass man den mehr oder weniger berühmten Namen des Meisters oder der Meisterin in seinem Lebenslauf erwähnen darf. "Meisterkurs bei XY..."

Dazu muss ich sagen, dass ich in meiner Laufbahn einige Meisterkurse absolviert habe.

Zwei habe ich in besonderer Erinnerung:


Beim ersten war ich ganz neu an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" in Berlin. Ein Ehrenprofessor hat eine Woche lang mit verschiedenen Sänger:innen der Gesangsabteilung gearbeitet. Es war kein geringerer als der Regisseur Peter Konwitschny.

Er arbeitete sehr genau und verstand es aus allen ihr Bestes heraus zu holen. Für mich das Erstaunlichste aber war, dass selbst Student:innen, die nicht besonders gut sangen unter seiner Regie auf einmal anfingen zu singen, wie wenn sie durch seine Arbeit an ihre Emotionen herangekommen wären und diese in ihre Stimmen übersetzten konnten. Konwitschny kannte die Partituren der Werke auswendig. Er konnte genau sagen wo welches Instrument warum spielte und welche Emotionen nach aussen transportiert werden sollten.

In dieser einen Woche habe ich sehr viel gelernt. Vor Allem wie wichtig es ist, die Musik, möglichst die Partitur, genau zu kennen.


Der zweite Meisterkurs der mir in Erinnerung geblieben ist, ist der mit Dietrich Fischer-Dieskau und seiner Frau Julia Varady in Stuttgart. Dieser Meisterkurs war für Publikum zugelassen und als singender Teilnehmer sass man direkt auf dem Präsentierteller vor einem voll besetzten Saal. Vormittags wurde Lied mit Herrn Fischer-Dieskau gearbeitet, Nachmittags Arien mit Frau Varady. Ich habe damals 4 Lieder aus dem Italienischen Liederbuch von Hugo Wolf vorbereitet und Arien aus meinem damaligen Repertoire. Die Athmosphäre war eher steif und ehrfürchtig. Die Arbeit bestand in Interpretation und der genauen Formung der Sprache. Der Meisterkurs dauerte 4 Tage. Es war ein Erlebnis mit diesen hochkarätigen Sängern zu arbeiten.


Trotzdem, die beiden Meisterkurse haben wenig gemeinsam mit der Masterclass "The Art of Singing" in Bad Saarow, die seit 2014 einmal jährlich stattfindet.

Kirsten Schötteldreier, Vocalcoach, ist die Initiatorin der Masterclass Bad Saarow, die sie überJahre kontinuierlich aufgebaut hat. Sie setzt sich mit Leidenschaft dafür ein, dass ihre Methode, die sie durch eigene Erfahrung, als Sängerin und später Vocalcoach, über viele Jahre selber entwickelt hat, nämlich die Integration von Chi Kung in den Gesang beziehungsweise die Gesangstechnik, viele Sänger:innen erreicht und ihnen bei ihrer sängerischen Arbeit hilft. Genau diese Kombination ist eine grosse Besonderheit dieser Masterclass und macht sie in meinen Augen einmalig!

Burkhard Fritz, Tenor war zum wiederholten Mal als Gastdozent dabei. Begleitet wurde er ausserdem von Chi Kung Master Sifu Darryl Collett mit dem Kirsten seit über 15 Jahren zusammen arbeitet und natürlich Susanne Kreusch, die alles organisiert und kommuniziert und den beiden Pianisten Marcin Kozieł und Pawel Poplawski.


Der diesjährige Meisterkurs startete am Montag 28.6.2021 um 12 Uhr auf dem Gut Eibenhof in Bad Saarow.

Ich war vorher noch nie in Bad Saarow. Nachdem ich meine Unterkunft bezogen hatte fuhr ich mit meinem Klapprad zum Gut. Erstmal stand ich vor einem verschlossenen, grünen Tor. Dahinter liess sich eine Parkanlage erahnen. Als das Tor um kurz vor 12 Uhr offen stand, traute ich mich das Gut zu betreten. Ich werde den Lindenduft in der Mittagssonne nie vergessen, der von den Linden ausströmte, die den Wegrand säumten. Es war ein wunderschöner Sommertag mit einem sanften Wind. Zur rechten Seite befindet sich ein grosses Herrenhaus. Vor diesem traf ich einen blue merle Bordercollie. Der betrachtete mich erst mal eher skeptisch. Verständlich. Schliesslich traute ich mich zu klingeln und zu fragen, wo der Meisterkurs denn stattfinde. Eine nette Frau gab mir Auskunft. So fuhr ich den Weg weiter nach unten bis ich zu einer Scheune kam. Unter dem Dach befinden sich unzählige Schwalbennester. Die Schwalben flogen emsig zu ihren hungrigen Jungen und fütterten sie. Weiter unten war eine Pferdekoppel. Die Halbinsel deren Ufer mit grossen Eschen, Erlen, Silberpappeln und Linden umrandet ist, scheint aus einer anderen Zeit zu sein. Wie ein Paradies.

Später wurden wir über das Gut geführt, das auch eine eigene Badestelle hat und einen verwunschenen Garten, mit Blumen, Brunnen und wo man im Vorbeigehen Beeren von den Büschen naschen durfte.


Der Hauptarbeitsplatz war die grosse, mit Holz ausgekleidete Halle, die auch das Zuhause von nistenden Gartenrotschwänzchen war, die manchmal mehr Krach machten, um Futter zu bekommen, als wir Sänger:innen beim singen und im verlauf der Woche liebevoll "Kinderchor" genannt wurden. Daneben durften wir im Herrenhaus das Flügelzimmer nutzen, so dass eine Arbeitsteilung möglich war.

Nach einem Rundgang über das Gut gab es ein Mittagessen, das uns ein Sponsor brachte.

Danach stellten sich alle Sänger:innen erst mal vor. Natürlich mit singen. Es wurde sogleich auch gearbeitet. Ich war erst mal aufgeregt. Seit fast 1,5 Jahren habe ich Pandemie bedingt nicht mehr wirklich vor Publikum gesungen und schon gar nicht vor Kolleg:innen. Doch die Atmosphäre war wohlwollend. Auch die Altersdurchmischung war sehr ausgeglichen. Von insgesamt rund 12 Sänger:innen gab es drei oder vier Student:innen. Der Rest waren alles Sänger:innen, die im Beruf stehen. Manche mitten in sehr guten Karrieren, andere, so wie ich, nach dem Stimmfachwechsel auf der Suche nach dem richtigen Absprung.

Bis auf die Studentinnen haben alle Sängerinnen des Kurses ein oder mehrere Kinder. Das ist in diesem Beruf nicht sehr häufig der Fall. Ich empfand das als sehr positiv. Ich habe schon Produktionen erlebt, wo ich die einzige Sängerin mit Kind war. Dabei muss sich Familie und Beruf nicht ausschliessen, auch nicht in der Oper, aber das ist wiederum ein Thema für sich.


Ab Dienstag begannen die Tage immer um 9.30Uhr mit einer Chi Kung Zoom-Session mit Sifu Darryl Collett, der wegen der Corona-Mutanten in Schottland bleiben musste...Komisch, Fussballfans dürfen in vollbesetzten Stadien ohne Maske und Abstand feiern, auch in England und wieder zurück nach Deutschland reisen, aber ein Chi Kung Master darf nicht nach Deutschland einreisen für eine Masterclass? Irgendwie fehlt mir da die Logik.

Wir lernten dabei einige Grundübungen von Chi Kung. Chi ist die Energie. Energie ist, wie wir aus der Physik wissen, allgegenwärtig. Kung bedeutet "Bewegung". Chi Kung lehrt uns unsere in uns wohnende Energie zu bewegen. Es ist eine Technik die seit mehreren tausend Jahren besteht und immer noch gelehrt wird. Zum Glück. Weise genutzt kann Chi Kung sehr kraftvoll sein, in allen Lebensbereichen.

Danach gab es immer Gruppenimprovisatioenen und Körperarbeit, die von Kirsten angeleitet wurden. Wir arbeiteten dabei daran fokussiert bei uns zu bleiben und gleichzeitig offen für alles, was um uns herum geschieht. Für Sänger:innen, die auf der Bühne arbeiten, elementar. Wir müssen die Konzentration bei unserem singen haben, gleichzeitig das Orchester hören, den Dirigenten sehen, mit unseren Requisiten klar kommen und mit den Kolleg:innen agieren. Gar nicht so einfach.

Danach wurde gesungen. Jeder von uns sang mindestens eine Stunde pro Tag unter Aufsicht mit Burkhard oder/und Kirsten oder einem der Pianisten, je nach dem. Den Rest der Zeit verbrachten wir hospitierend, was sehr lehrreich sein kann und beim gemeinsamen Essen, das im Prinzip unsere einzige Pause am Tag war.

Ich ging selten vor 20Uhr vom Gut weg, meistens erst gegen 20.30Uhr, aber immer erfüllt, dankbar und gleichzeitig müde von all den Eindrücken.


Jeder und jede arbeitete an seinem Repertoire. Jeder hatte seine eigenen "Baustellen". Da war eine Sängerin, die vom Mezzosopran zum Sopran wechselte und nun die passende Literatur brauchte, oder ein Tenor, der vorher Bariton gesungen hat und nun seit ein paar Monaten das Spintofach erarbeitet, oder eine Sopranistin, die bald als Brünnhilde debütiert, um nur wenige Beispiele zu nennen. Das schöne war, dass in dieser Gruppe von Sänger:innen keine Konkurrenz entstand. Im Gegenteil: Wir unterstützten uns gegenseitig, führten viele schöne und konstruktive Gespräche. Es war eine sehr liebevolle und trotzdem energiegeladene Atmosphäre in jeder Hinsicht. Ein Meisterkurs dieser Art ist nun mal kein Streichelzoo! Als Sänger:in muss man einiges an Kritik aushalten können und meistens ist diese nicht so konstruktiv und mit Humor formuliert, wie ich das in dieser Woche von Kirsten oder Burkhard erlebt habe. Wir haben alle sehr viel gelacht, auch über uns selber. Das war sehr wohltuend.

Bei vielen von uns kamen im Verlauf der Woche verschiedene Emotionen und Erinnerungen hoch. So wie wenn man einen alten Teppich zu schütteln beginnt und alter Staub aufwirbelt, der sich erst wieder langsam setzt, oder durch ein neu geöffnetes Fenster ins freie fliegen kann. Alte Emotionen können anstrengend sein. Vor allem, wenn sie eher negativ behaftet sind. Vielen von uns ist es in dieser Woche gelungen an diesen Emotionen zu arbeiten, manche davon abzuschliessen. Es sind dadurch auch Tränen geflossen, die notwendig waren, wie eine Reinigung. Bei manchen hat die emotionale Arbeit offensichtlich statt gefunden und bei anderen eher im Stillen, doch für alle war sie sehr wertvoll.

Innerhalb der Woche gab es ein Vorsingetraining, wo ein Agent von aussen kam und jedem einzelnen von uns ein konstruktives, ehrliches Feedback gab.

Wie oft habe ich nur die Floskel "Danke, wir melden uns" gehört und wusste nicht wirklich woran ich war? Ich habe sehr selten ein ehrliches Feedback bekommen. Doch darauf bin ich als Sängerin angewiesen, damit ich weiter arbeiten kann und weiss, was zu verbessern ist, damit es eines Tages heisst "Sie sind engagiert".

Ich selber gewann Sicherheit bei meinen Vorsingearien, die sehr genau erarbeitet wurden. Manche meiner bisher erarbeiteten Arien legten wir zur Seite und ersetzen sie durch neues Repertoire. Ich lernte meine Resonanzräume besser zu nutzen und alles auf den Atemstrom zu setzten, so dass mich das Singen noch weniger anstrengt. Ich weiss, dass ich in dieser Richtung noch viel zu entdecken habe, aber ich weiss auch, dass ich nun Menschen gefunden habe, die mir dabei helfend zur Seite stehen, mich beraten und mit mir arbeiten.


Am Sonntag, 4. Juli fand unser "Abschlusskonzert" statt. Wobei dieses Konzert eher eine Art Zwischenstand unserer Arbeit darstellte. So konnte es durchaus geschehen, dass nach einer Arie Kirsten noch das eine oder andere korrigierte, auch um dem Publikum zu zeigen, wie wir gearbeitet haben und was diese Arbeit bewirkt.

Es war ein Konzert von 3 Stunden. Wir hatten es offensichtlich mit einem Musik ausgehungerten Publikum zu tun, nach dieser langen Zeit ohne live Musik. Die Konzentration und Begeisterung war spürbar. Am Ende gab es Standing Ovation!

Wir assen und tranken noch gemeinsam und Susanne hat ein wunderbares Dessert kreiert. Gebackener, süsser Eierschnee mit Sahne, frischem Obst und Haselnusskrokant...So etwas habe ich vorher noch nicht gegessen. Himmlisch.


Natürlich steckt hinter einem solchen Meisterkurs sehr viel Organisation und ohne Geld geht es leider auch nicht. Damit junge Sänger:innen entsprechend gefördert werden können um an einem solchen Kurs teilzunehmen oder zu Vorsingen zu fahren, braucht es Geld. Deswegen gibt es zum Glück einen Förderverein, der dankbar ist, wenn sich weitere Mitglieder anmelden oder Menschen finden, die Gelder spenden.

Wer interessiert ist, kann hier Unterlagen anfordern:


"Gesamtkunstwerk Klang"e.V.

Kollwitzstrasse 60

10435 Berlin

Und wer neugierig geworden ist auf "The Art of singing" kann hier klicken:


Ich möchte hier Kirsten und Burkhard danken für ihr Engagement, ihre Liebe, ihre unfassbare fast unerschöpfliche Energie, die sie in uns gesteckt haben.

Ich möchte mich bei den Pianisten bedanken, die uns geduldig begleitet und mit ihrem Spiel unterstützt haben. Danke Darryl für Deine Chi Kung Sessions, die unsere Emotionen gelöst haben. Ich möchte mich bei Susanne bedanken, die alle Fäden im Hintergrund gezogen hat und auch immer wieder wertvolle Feedbacks gegeben hat und last but not least möchte ich Jan Paul und auch Wanja, der zu Beginn der Woche da war, danken, der uns immer mit heissem Wasser, viiiiiiiil Kaffee, anderen Getränken und kleinen Snacks versorgt hat. Er betrat so still in seiner grossen Ruhe die Halle, dass wir seine Anwesenheit nur kurz registriert haben, bevor er sich etwas anderem widmete und verschwunden war. Und ich möchte mich bei allen Kolleg:innen bedanken, für diese wunderbare, gemeinsame Zeit. Gefüllt mit euren Stimmen, mit wertvollen Gesprächen und vielem mehr. DANKE! Ich bin selten so gestärkt und erfüllt in meinen "Alltag" zurückgekehrt und ich hoffe und wünsche es Euch, dass es Euch genauso gehen möge wie mir!




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