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Burgdorf, Schweiz

Mikis Theodorakis- Ein Leben für Griechenland

Zürich, Schweiz

Eigentlich sollte ich am 3.9.2021 das erste Mal mit der Kantorei St.Peter Zürich unter der Leitung von Sebastian Goll singen. Doch dazu kam es 2020 nicht, Pandemie bedingt. Erst jetzt am 5.9.2021 fand nun unser musikalisches Kennenlernen statt.

Die Probe dazu fand an einem goldenen, warmen Septembertag statt, am Freitag vergangener Woche. Ich musste um 14.00Uhr zur Probe im Fraumünster sein. Einer wunderschönen Kirche von 1703 deren Fenster im Altarraum original von Marc Chagall gestaltet und umgesetzt wurden.

Später hatte ich Pause und Zeit Zürich wieder zu erkunden. Eine Weile war ich am Ufer des Sees, wo unzählige Menschen das schöne und warme Wetter genossen. Die Strassen waren voller Autos und Menschen: BMW, Mercedes, Lamborghini um nur wenige der Luxusmarken aufzuzählen. Die Menschen auf den Strassen waren fast alle sehr schick und teuer gekleidet. Unter der Woche gehört Zürich vor allem der Wirtschaft und den Banken. Das macht sich im Bild dieser sehr gepflegten Stadt bemerkbar. Luxus scheint an der Tagesordnung zu sein.

Es war gefühlt eng, laut und voll. Berlin mit seinen grosszügigen Strassen wirkt dagegen in der Rushhour fast harmlos und stiller. Allerdings liess diese Lebendigkeit mich fast vergessen, dass wir uns immer noch in einer Pandemie befinden. Das Leben fühlte sich so normal an, fast wie vor der Pandemie.

Später hatte ich noch einmal Probe und Generalprobe. Um kurz vor 20Uhr war ich fertig. In der Schweiz schliessen die Geschäfte früher, ab 19Uhr, manche um 20Uhr. Mein Zug fuhr erst um 20.53Uhr zurück nach Burgdorf. Ich schlenderte etwas durch die, nun fast leere, Bahnhofstrasse.

Ich war müde von all den Eindrücken, der wunderschönen Arbeit. Meine Füsse schmerzten von den vielen Schritten, die sie mich getragen hatten an diesem warmen Tag. Ich kaufte mir eine NZZ (Neue Zürcher Zeitung) und ein alkoholfreies Bier und setzte mich auf eine Kiste, die an dem Gleis stand, wo später mein Zug fahren sollte etwas abseits und begann zu lesen. Ich las über die Corona-Entwicklung in der Schweiz, dass es nun immer mehr eine Pandemie der Ungeimpften würde und vieler Balkanrückkehrer, über die Wirtschaftsentwicklung der Schweiz im Vergleich zu Europa und dann stiess ich auf einen Artikel der mich sehr faszinierte: "Zorbas der Grieche tanzt nicht mehr" Mikis Theodorakis hat die Musik und die Politik, aber auch das Image Griechenlands geprägt- nun ist er 96-jährig gestorben stand da. Ich begann zu lesen und tauchte für einen kurzen Moment in das Leben von Mikis Theodorakis ein:


Kindheit und Jugend

Michalis Theodorakis wurde 1925 in Chios geboren. Schon sehr früh zog ihn die Musik magisch an. Er schrieb Lieder ohne ein Instrument zu besitzen. Er erhielt seinen ersten Unterricht in Patras und Pygros. Bereits mit 17 Jahren gab er, mit einem von ihm gegründeten Kirchenchor, sein erstes Konzert. Parallel zu seiner musikalischen Ausbildung begann er sich bereits als Jugendlicher politisch zu engagieren. Während des 2. Weltkrieges und der Besetzung Griechenlands durch die deutschen, italienischen und bulgarischen Truppen trat er den Widerstandskämpfern bei. Bereits mit 18 Jahren wurde Mikis das erste Mal inhaftiert und gefoltert. In der Haft begegnete ihm das erste Mal der Marxismus, der sein Weltbild prägen sollte. 1944 war er Mitglied und Mitstreiter um die Schlacht bei Athen. 1946 fand eine Wahldemonstration gegen das konservative, monarchische Regime statt. Viele Demonstranten wurden dabei brutal niedergeschlagen, nicht wenige getötet. Mikis wurde von seinen Freunden unter den Opfern in der Leichenhalle gefunden, wie durch ein Wunder lebend. Es sollt nicht das letzte Mal sein, dass er dem Tod von der Schippe sprang.

Ab 1947 hatten kommunistisch eingestellte Bürger, wie Mikis ein schweres Leben in Griechenland. Sie zählten als Regmiegegener und wurden zu 1000den Inhaftiert und in Konzentrationslager gebracht, wo sie schwerst gefoltert und teilweise getötet wurden. So auch Mikis. Er wurde von einer Insel zur nächsten gebracht, bis er im Konzentrationslager Makronisos landete. Was ihm dort an Folter widerfahren ist, dürfte für uns heute schwer vorstellbar sein: Neben "klassischer" Folter wurde er zweimal lebendig begraben und war dem Tode näher als dem Leben. 1949 wurde er mehr tot als lebendig aus der Haft entlassen. Er erholte sich über viele Monate bei seiner Mutter auf Kreta. Trotz der anhaltende Unterdrückung studierte Mikis am Athener Konservatorium.


Studium in Paris

Dank eines Stipendiums konnte Mikis 1954 zusammen mit seiner Frau nach Paris reisen. Dort setzte er seine Studien bei Olivier Messiaen fort. Schon früh erregten die Kompositionen von Mikis Aufmerksamkeit. Das 1939 komponierte "Lied vom Kapitän Zacharias" wurde während des Krieges das offizielle Widerstandslied der Marine. Seine Suite Nr.1 erhielt in Moskau eine Goldmedaille. Seine erste Symphonie die in der Zeit von 1948-1953 entstand beinhaltet seinen starken Wunsch nach Aussöhnung Griechenlands und der Verheilung der Wunden des Bürgerkriegs. Die Widmung ist für zwei seiner Freunde, die während der Kämpfe umkamen. Die Kompositionen seiner Filmmusiken führte zu weiterer Popularität des jungen Komponisten. Die Werke aus dieser Zeit sind noch nach konventionellen Mustern geschrieben, obwohl Mikis bereits da auch einige Rhythmen und Tonarten der kretischen Volksmusik und der byzantinischen Kirchenmusik einfliessen liess.


Rückkehr nach Griechenland 1960

Mit seinem symphonischen Schaffen begann der junge Komponist international Fuss zu fassen. Doch statt in Paris zu bleiben und an seinem Ruhm zu arbeiten und ihn zu mehren, kehrte er 1960 gemeinsam mit seiner Frau nach Griechenland zurück um sich seinen musikalischen Wurzeln und gleichzeitig der griechischen Politik zu widmen. Er veröffentlichte den Liedzyklus "Epithaphios". In dieser neuen Schaffensphase vereinte Mikis zwei sehr wichtige Volksmusiktraditionen: Die demotische, die eher ländlich geprägt ist und die rembentische, die vor allem die musikalische Ausdrucksform der Städter war. Die Musik der Flüchtlinge, der Aussenseiter. Es entbrannte ein richtiger Kulturkampf in Griechenland, der sich der Frage stellte, was Volksmusik ist. Welche Bedeutung und Zukunft sie hat.

Mikis trug seinen Teil zur Diskussion bei indem er Statements in zahlreichen Interviews gab und eine offensive Aufführungspraxis betrieb. Es war nicht nur ein Kampf um das kulturelle Erbe, sondern einmal mehr ein Kampf zwischen den Linken und Rechten Kräften des Landes.

Nach der Ermordung des Parlamentsabgeordneten Lambrakis durch rechte Terrorgruppen 1963 wurde Theodorakis Präsident der neuen Bewegung Demokratischer Jugend. 1964 wurde er als Abgeordneter der EDA-Partei ins griechische Parlament gewählt. Während dieser Zeit entwickelte Mikis seine ganz eigene, konsequente musikalische Sprache, was sich unter anderem in der Musik des Films "Zorba the Greek" widerspiegelt, die seinen internationalen Ruhm untermauerte.

1967 drehte sich in Griechenland die Politische Landschaft erneut. Es kam zum Putsch der faschistischen Obristen. Mikis ging sofort in den Untergrund und veröffentlichte ein Aufruf zum Widerstand. Seine Musik wurde von den neuen Machthabern verboten. Sie durfte nicht gespielt oder gesungen werden, es drohte Strafe, wenn die Menschen dabei erwischt wurden. Mikis wurde vier Monate später im August 1967 einmal mehr verhaftet und im Hauptquartier der Sicherheitspolizei psychisch und physisch gefoltert. Im Verlaufe von 1968 wurde er in ein Bergdorf verbannt und anschliessend erneut in ein Konzentrationslager gebracht, diesmal auf Oropos.


Exil in Paris

Nur dank einer internationalen Solidarität, bestehend aus Schostakowitsch, Bernstein, Miller und Yves unter anderem, wurde Mikis 1970 nach Paris ins Exil entlassen. Es war eine Rettung in letzter Minute. Seit 1969 war Mikis schwer an Tuberkulose erkrankt. In Frankreich erhielt er die medizinische Behandlung, die zu seiner Genesung beitrug. Doch wer dachte, dass Mikis die Politik nun sein lassen würde, hat sich getäuscht:

Vom Exil aus nahm Theodorakis seinen Kampf gegen das Regime wieder auf. Er nutzte dazu nun seine internationale Popularität und die Möglichkeit über Konzerte politisch zu agieren. Bis zum Sturz der Diktatur 1974 gab er über 500 Konzerte im Ausland.


Rückkehr nach Griechenland

Nach dem Sturz der Junta kehrte Mikis nach Griechenland zurück und wurde als Volksheld empfangen und gefeiert. Doch die politischen Unruhen und Streitigkeiten in Griechenland dominierten bald wieder den Alltag. Mikis versuchte in der Zeit die verschiedenen Linken Kräfte zu vereinen.

In dieser Zeit wandte er sich seinem symphonischen Schaffen zu. Er schuf neue Werke und schrieb alte teilweise um. So entstand die 2., 4. und 7. Symphonie und die symphonische Kantate: Sadduzäer- Passion und der im Palast der Republik in Berlin mit grossem Erfolg aufgeführte "Canto-general"(nach Neruda).

Als Mitglied der moskautreuen Komunistischen Partei trat er als Abgeordneter 1981 ins Parlament ein, legte aber sein Mandant 1986 enttäuscht über die stalinistische Ausprägung wieder nieder.

Er engagierte sich in den folgenden Jahren und frühen 1990er Jahren als Parteiloser für die Annäherung von Griechenland und der Türkei, was ihm viele Feinde einbrachte, ebenso wie für die Reformierung vom Bildungswesen und der Kultur innerhalb Griechenlands und bekämpfte den Drogenkonsum und Terrorismus. Seine Regierungsbeteiligung hat Mikis später als Fehler bezeichnet.

1992 zog er sich aus der Politik zurück und widmete sich wieder der Kultur als Chefdirigent des Symphonie-Orchesters und Chores des Griechischen Rundfunks. 1994 zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück. Fortan komponierte er und schrieb Gedichte. 1997 litt er viele Monate an einer schweren Depression und Atembeschwerden. Erst 1998 besserte sich sein Zustand wieder, so dass er seine Arbeit als Dirigent und Komponist wieder aufnehmen konnte.


Späte Jahre

Er blieb bis zu seinem Ende politisch aktiv und äusserte sich, wenn es, seiner Ansicht nach, die Situation erforderte. So verurteilte er etwa die Bombardierung Jugoslawiens durch die NATO 1999, oder die Politik vom US Präsidenten G.W. Bush Junior im Zusammenhang mit dem Irakkrieg 2003.

Wer klar zu gewissen politischen Themen Stellung nimmt, bekommt auch den Gegenwind zu spüren.

Mikis Theodorakis musste immer wieder Kritik einstecken, so vom Zentralrat der griechischen Juden, die ihm eine Anisemitische Haltung vorwarfen, weil er den Zionismus in Israel verurteilte. Er nahm nach etlichen Vorwürfen, unter anderem nach einem aus dem Kontext genommenen Zitat eines Interviews, das er dem Griechischen Fernsehsender "High" gegeben hatte, klar Stellung auf seiner Homepage, indem er betonte, dass er Antizionistisch sei und die Politik Israels nicht begrüsse. Er betonte gleichzeitig sein Lebenslanges Engagement gegen die Verfolgung der Juden und dass er kein Antisemit sei. Schliesslich nahm der Zentralrat der griechischen Juden seine Entschuldigung an.

In seinen letzten Lebensjahren erhielt er zahlreiche internationale Preise, die sein Leben und Werk würdigen. So etwa 2005 der IMC-UNESCO-Musikpreis, eine der höchsten musikalischen Auszeichnungen überhaupt.

2013 folgte die Ehernmitgliedschaft der Athener Akademie.


In Griechenland selber standen in den letzten Lebensjahren vor allem seine politischen Aktivitäten im Rampenlicht, was Theodorakis etwas bitter feststellte.

Doch im Ausland hat er wesentlich dazu beigetragen mit seiner Musik und seinem Schaffen das Anliegen Griechenlands darzubringen und aufzuzeigen, was in den dunkelsten Kapitel der neueren Griechischen Geschichte los war. Sein musikalisches Schaffen war immer mit den politischen Geschehnissen seiner Zeit und seines Heimatlandes verwoben und auf eine Art ein Spiegel der Gesellschaft Griechenlands.

Nun ist er am 2.September 2021 mit 96 Jahren in Athen gestorben.


Zürich, Abends kurz vor 21.00Uhr

Über den, wirklich sehr gut recherchierten Artikel, verflog die vorher zäh dahinfliessende Zeit schnell. Endlich fuhr der Zug ein, der mich nach Burgdorf zurückfahren sollte. Dankbar, mit vielen neuen Erkenntnissen und dem Entschluss meinen nächsten Beitrag Mikis Theodorakis zu widmen, stieg ich ein.









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