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Burgdorf, Schweiz

Kinderstimme und Kinderstimmbildung

Teil 1 Physiologie und Mutation


Faszination Kinderstimme


Wer von uns hat nicht schon fasziniert einer glasklaren Kinderstimme gelauscht?

Wo gibt es nicht mehr Tradition der Kinderchöre als hier in Mitteleuropa?

Alleine hier in Deutschland gibt es viele international hochkarätige Kinder- Jugend- und speziell Knabenchöre wie die "Kruzianer" aus Dresden, die "Thomaner" aus Leipzig oder die Jungen des Domchores, Berlin.

Doch wie unterscheidet sich eine Kinderstimme von einer Erwachsenen?

Rein Physiologisch gibt es kaum Unterschiede, doch gehen wir dazu etwas zurück:


Der Säugling


Wenn wir zur Welt kommen, holen wir erst einmal Luft und krähen, angeblich auf dem Kammerton "a", los. Egal, wo wir auf dieser Erde geboren werden.

Der Säugling kann, je älter er wird, immer mehr differenzierte Laute machen. So können die Eltern auf die Bedürfnisse ihres Kindes reagieren.

Doch bis ein Säugling im Stande ist zu Sprechen, setzt es zwei wichtige Dinge voraus:

Der hochgestellte Kehlkopf muss sich absenken.

Erst dann ist der Rachen imstande Vokale zu bilden. Dies geschieht in den ersten Lebensmonaten.

Parallel dazu entwickelt und reift das zentrale Nervensystem heran, welches die Steuerung und Kontrolle über das Sprechen und Hören hat.

Über das zweite Lebensjahr stabilisieren sich meistens die Vokale und die Klangbilder und so kann das Kind Sprachen lernen und somit auch singen.


Kinderstimme


Parallel mit Körper und Geist entwickelt sich die Kleinkinderstimme zur Kinderstimme, ein Vorgang, der bis ins Schulalter und zur Mutation langsam weitergeht. Die Kinderstimme gewinnt an Tonumfang und die Sprechstimme wird etwas tiefer. Die Stimme gewinnt an Ausdauer gerade beim technisch richtigen Singen und Sprechen.

Das Wachstum des Kindes hat erheblichen Einfluss auf seine Stimme und den Klang der Stimme. Ursache dafür liegt im Grössenverhältnis vom Kopf zum Rumpf.

Beim Neugeborenen ist dieses fast 1:1. Bei Erwachsenen ist es 1:5 bis 1:7.

Während die Kinder von Neugeborenen zu Kleinkindern, Kindern und dann Jugendlichen wachsen, wächst der Stimmapparat behutsam mit. Das Wachstum erfolgt nicht immer vollkommen gleichmässig, aber weitgehend kontinuierlich. Alle Organe und Muskulaturen, die an der Stimmgebung beteiligt sind wachsen ziemlich synchron.

Wie unterscheiden grob 4 Wachstumsphasen:


Säugling und Kleinkind, erstes bis ca. 3. Lebensjahr

Kindergartenkind, ca. drittes bis sechstes Lebensjahr,

Grundschulkind, ca. sechstes bis zehntes Lebensjahr,

Schulkind, ca. zehntes Lebensjahr bis Pubertätsbeginn.


Der Klang der Kinderstimme


Da beim Kind der Kopf im Verhältnis zum Rumpf grösser ist als bei den Erwachsenen, dominieren beim Klang die Kopfresonanzen. Die Brustresonanz ist hingegen nicht Klangprägend. Da die Kopfresonanzen prägend sind für den Klang der Kinderstimme wirkt die Kinderstimme heller, Oberton reicher, ist also deutlich heller als eine Frauenstimme und das gibt den Kinderstimmen diesen faszinierenden, "schwebende" Klang.

Im Vergleich mit einer erwachsenen Frauenstimme ist das Register der Kinderstimme sehr ähnlich. Doch die Kinderstimme ist schlanker als eine Frauenstimme.

Dadurch, dass die Stimmfalten vor der Mutation noch kürzer und schlanker sind und der Kehlkopf insgesamt kleiner ist als bei einer Frau wirken alle Register wie nach oben verschoben.

Das heisst, die Mittellage eines Kindes ist im Vergleich zu einer Frau oftmals viel leichter. Mittel- und Kopftöne eines Kindes klingen oft so wie bei einer Frau die reinen Kopftöne.

All diese Tatsachen machen die Beurteilung einer Kinderstimme für uns Stimmbildner:innen nicht einfacher.

Oftmals handelt es sich bei Kindern, die in der eingestrichenen Oktave einen kraftvollen, für unsere Ohren, satten Klang haben um Kinder, die mit voller Bruststimme singen, was wiederum nicht ungefährlich für die Kinderstimme sein kann, bis hin zum Einfluss auf den Rest des sängereschen Werdegangs des Kindes.


Stimmumfang der Kinderstimmen


Darüber wird seit vielen Jahren in Fachkreisen diskutiert und eigentlich möchte man meinen, dass genug wissenschaftliches Material darüber vorliegt. Trotzdem bleibt die Diskussion kontrovers.

Es ist klar, dass ein Säugling nicht sofort eine volltrainierte Stimme besitzt. Doch bereits im ersten Lebensjahr wird die Stimme mit vielen verschiedenen Lauten trainiert.

Je grösser das Kind wird umso natürlicher kräftigt sich seine Stimme.

Die Singlage von Säuglingen und Kleinkindern liegt ungefähr zwischen g1-c2.

Bei Kindergartenkindern von f1-e2, bei Grundschulkindern von c1-f2, auch mal c3, und beim Schulkind von a-a2, auch durchaus c4.

Wenn wir uns nun diese Stimmlagen genauer anschauen, sehen wir, dass in den Kindergärten und Grundschulen mit den Kindern oft zu tief gesungen wird, das heisst, wenn gesungen wird...leider ist das heute auch nicht mehr selbstverständlich.

Solange die kindliche Stimme in der zu tiefen Lage nicht forcieren muss, ist es nicht problematisch, nur wenn Kinder in dieser, für sie, tiefen Lage forcieren, kann es schwierig bis problematisch werden.


Die Mutation


In der Pubertät verändert sich nicht nur der gesamte Körper durch die Produktion der Geschlechtshormone, sondern auch die Stimme.

Auch Mädchen haben eine Mutation. Diese ist jedoch in den meisten Fällen viel weniger wahrnehmbar als bei den Jungen, da die Mädchenstimme meistens nur wenige Millimeter wächst. Manchmal kann sich über einen Zeitraum von 2 bis 4 Jahren, eine Art Heiserkeit einstellen, welche einige Wochen anhält und dann wieder verschwindet.

Durch das Köperwachstum wird die Mädchenstimme weiblicher. Manche junge Frauen gewinnen nach der Mutation an Umfang, manche an Höhe, andere an Tiefe, andere Stimmen bleiben gleich wie vorher. Es lässt sich also nicht pauschal sagen, dass sich die Mädchenstimme nach der Pubertät um ca. eine Terz absenkt.

Während der Mutation der Mädchen sind keine besonderen Massnahmen notwendig, einzig in den Phasen der Heiserkeit. Doch oftmals empfinden die Mädchen ihre Heiserkeit als Erkältung und schonen sich entsprechend.


Anders verhält es sich bei den Jungen.

Alleine die Längenzunahme der Stimmfalten beträgt zwischen 5-8mm. Parallel dazu werden die Stimmfalten kräftiger und dicker und das Grössenwachstum des Kehlkopfes ist sehr stark und mit der spitzwinkligen Ausformung des Adamsapfels deutlich erkennbar.

Im Verlauf dieser "Umbauphase" kann die Knabenstimme über längere Zeit gestört sein. Grob kann man die Knabenmutation in 3 Phasen einteilen:

Prämutation, Mutation und Postmutation.


Prämutation: hier ist die Stimme noch hell, aber die obersten Töne beginnen brüchig zu werden und machen Schwierigkeiten. Die Stimme wird in der Zeit dunkler. Diese Phase dauert ungefähr ein halbes Jahr. In dieser Zeit kann man beobachten, dass die Singstimme des Jungen voller und kräftiger wird.


Während der eigentlichen Mutation findet ein unkoordiniertes Wachstum der Stimme statt. Deutlich hörbar mit Tonausfall, Höhenverslust. Nach unten findet, mit deutlich hörbarem Schaltvorgang, ein Zuwachs von ca. einer Oktave statt. Die Höhe ist in der Phase bescheiden. Doch oberhalb der neuen Männerstimme ist die Knabenstimme oft noch erhalten. Hier ist schon die spätere Falsettfunktion angelegt.

Die Stimme klingt in der Mutation oft rau und luftig. Viele Knaben haben in der Zeit ein sogenanntes Mutationsdreieck, weil ihre Stimme noch nicht vollständig schliessen kann.

Die eigentliche Mutationsphase kann sehr unterschiedlich lang sein und variiert zwischen ca. 6 Wochen bis hin zu 2 Jahren. Wenn diese Phase zu Ende geht folgt die Postmutation, wo sich die neugewonnene Stimme stabilisiert und wieder klarer wird. Die Postmutation dauert in den meisten fällen zwei bis vier Jahre.

Während der direkten Mutation ist eine sängerische Belastung nicht ratsam. Der Junge kann in der Zeit verschiedene Atemübungen machen und sehr schonende Singübungen. Diese Singübungen sollten sich nur in der eingeschränkten Lage bewegen und sehr weich und eher leise sein.


In der Postmutation stabilisiert sich die neugewonnene Stimmlage almählich und die Stimme wird wieder klarer. Die Phase der Postmutation kann bis zu 2 Jahren dauern.

Während der Postmutation ist ein behutsames Kennenlernen und Resonanz finden des neuen Instruments ratsam.


Vorschau:


Im nächsten Blog werde ich Euch von meiner praktischen Erfahrung als Stimmbildnerin für Kinder erzählen.












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