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Burgdorf, Schweiz

Every life matters

Aktualisiert: 10. Apr. 2021



Der Tod des schwarzen Amerikaners Georg Floyd ist zur Zeit omnipräsent.

Nicht nur in den USA sondern auch hier bei uns in Europa haben wir es immer wieder mit Rassismus und der damit einhergehenden Diskriminierung bis hin zu rassistisch motivierten Morden zu tun.

Das lässt mich mit einem Gefühl der Ohnmacht zurück. Gleichzeitig reifte dadurch mein Entschluss, über dieses zu recht heikle Thema zu schreiben.


Bezogen auf die klassische Musikwelt fällt mir auf, dass selbst in der heutigen Zeit wenige dunkelhäutige Menschen eine richtig grosse Opernkarriere machen. Dabei sind wir Weissen, auf die gesamte Erde gesehen, doch eine "Minderheit". Die klassische Musik hat ihren Weg fast überall hin geschafft. Dunkelhäutige Menschen werden oft mit Blues, Gospel und Jazz assoziiert, viel weniger mit der klassischen Musik. Dabei schliesst das eine das andere nicht aus. Wir brauchen sowohl für Blues, Gospel und Jazz eine grosse Musikalität und gute Technik als auch für die klassische Musik.

Jazz hat sich im Süden der USA um 1900 entwickelt. Viele nennen New Orleans als seine Wiege, andere meinen, er sei in Memphis entstanden.

Seine musikalischen Elemente sind sehr vielfältig; er ist eine Verschmelzung der europäisch-amerikanischen Tanz- und Popmusik mit der afroamerikanischen Volksmusik, die Gospel, Spiritual und Worksong beinhaltet. Im Jazz hat die Improvisation bis heute einen hohen Stellenwert. Auch zu Zeiten des Barocks gab es in der klassischen Musik eine Art Improvisation! Die Koloraturen in den Bravourarien wurden, je nach Befinden und Bedürfnis am jeweiligen Abend, ohne vorherige Absprachen im da Capo Teil (bei der Wiederholung) variiert. Das forderte von allen Beteiligten Kreativität, Kunstfertigkeit und Flexibilität, die heute auf einen kleinen Teil von Spezialisten beschränkt ist.

Die Improvisation verleiht dem heutigen Jazz etwas sehr spontanes und lebendiges, unverwechselbares.

Die meisten Instrumente, welche die Jazzmusiker spielen, könnte man genauso gut in einem klassischen Orchester einsetzten. Doch im Jazz werden die Instrumente etwas anders genutzt, so dass andere Klänge, eben jazztypische Klänge entstehen.

Es waren zu Beginn vorwiegend schwarze Amerikaner, die Jazz spielten und weiterentwickelten, unter ihnen Louis Armstrong, Duke Ellington, Ella Fitzgerald und viele andere.

Gute Musik wird zum Glück überall hin weitergegeben und macht keinen Halt vor Geschlecht, Hautfarbe, Sexualität oder Landesgrenzen. So kam es, dass auch weisse Musiker den Jazz in ihr Repertoire aufnahmen, spielten und weiterentwickelten. Einer der ersten war Django Reinhardt, der 1910 in Belgien geboren ist und als einer der Vorreiter des europäischen Jazz gilt. Heute wird Jazz so wie Klassik fast überall gespielt unabhängig von Herkunft oder Hautfarbe.

Ich würde behaupten, dass der Jazz es wesentlich leichter hatte sich den Platz in unserer Welt und Gesellschaft zu erobern, als das bis heute schwarze OpernsängerInnen haben. Sie sind in unseren Breitengraden immer noch eine Seltenheit. An der Qualität ihres Könnens liegt es in den allermeisten Fällen nicht.

Eine, die Geschichte schrieb, war Leontyne Price. Sie ist 1927 in Mississippi, USA geboren und aufgewachsen. Nach ihrem Musikpädagogen Studium wurde sie an der renommierten Juliard School of Music aufgenommen. In einer Brodwayproduktion in der Rolle der "Bess" in Georg Gershwins Oper "Porgy and Bess" (die erste Oper, die vom Leben schwarzer Menschen erzählt) schaffte sie ihren Durchbruch. Es gelang ihr der Aufstieg zu einer internationalen Karriere, die sie an alle grossen Häuser der Welt mit den verschiedensten Partien: Aida,Tosca u.a. führte.

Sie war die erste(!) schwarze Opernsängerin, die 1960 in Mailand an der Scala sang. Erst nach dem grossen Erfolg in Mailand wurde sie 1961 an die Metropolitan Opera in New York verpflichtet. Der Erfolg, den sie sich an der Met mit ihrer Leonore in Verdis "Trovatore" ersang sollte ihr Recht geben. In den nächsten 20 Jahren war sie ein sehr beliebter Gast an diesem Haus. Als eine der wenigen ganz grossen Sängerinnen wusste sie, wann es Zeit war, von der Bühne Abschied zu nehmen. 1985 sang sie als letze Aufführung eine ihrer Paraderollen: Aida. Bis heute ist ihre Leistung unvergessen.

Weitere, berühmte, schwarze Kolleginnen sind die kürzlich verstorbene Jessy Norman (*1945-2019) und Reri Grist (*1932). Ihre Karrieren gingen auch von Europa aus, genauso wie jene des Basses Simon Estes (*1938). Leider fand ich in meinen Recherchen keine einzige Karriere eines schwarzen Operntenors oder gar Heldentenors. Offensichtlich wurde es in der Vergangenheit und leider bis in die heutige Zeit eher akzeptiert, eine schwarze Sängerin neben einem weissen Sänger (meistens Tenor) zu haben, als eine weisse Sängerin neben einem schwarzen Tenor. Lieber werden die weissen Tenöre als Verdis "Othello" schwarz geschminkt.

Mit den entsprechenden Schminkutensilien, Perücken und Kostümen wird jeder Mensch unglaublich wandelbar. So ist es für einen Maskenbildner ein Leichtes, einen Darsteller so zu schminken, zu verwandeln wie es die Oper (oder der Regisseur) verlangt. Junge werden auf einmal alt, Alte jünger, Weisse schwarz, Europäer zu Asiaten, Asiaten zu Europäern, Rothaarige können genau so gut Blond-, Braun-, oder Schwarzhaarig sein. Da in Oper/Musical/Theatern fast immer der Orchestergraben für eine Distanz zum Publikum sorgt, sind viele Details, die sonst nur aus der Nähe, (wie z.B. bei Filmaufnahmen) auffallen würden, nicht zu sehen.

In Puccinis "Butterfly" wird die Cho Cho San oder die Suzuki nicht immer von einer Asiatin gesungen, warum soll es dann nicht möglich sein, dass ein schwarzer Heldentenor die Hauptpartie in einer Oper singt?

Viele schwarze Künstler der Vergangenheit gingen bewusst nach Europa, weil sie hier weniger mit Rassismus konfrontiert wurden und ihre Hautfarbe ihrer Karriere weniger hinderlich war als in ihrer Heimat. Hatten sie in Europa Erfolg durften sie auch in den USA auftreten.

Ich bin ziemlich sicher, dass sie trotzdem viele Arten versteckter Diskriminierung im Verlaufe der Karriereerleben mussten . Die oben genannten SängerInnen sind trotz Widerstände ihren Weg gegangen und haben ihre Karrieren in Zeiten gemacht, wo die Gesellschaft weniger visuell veranlagt war als heute.

Heute rückt immer mehr das Visuelle in den Vordergrund.

Selbst Passionen, die eigentlich in Kirchen und Konzerthäusern aufgeführt werden und durchaus sakrale Aspekte haben, wie Bachs "Johannes"- oder "Matthäuspassion" oder auch das Requiem von Brahms "Ein deutsches Requiem" (dem wird kurzerhand ein englischer Titel verliehen und heisst dann "human Requiem") werden heute inszeniert, vertanzt, zu einer Art Oper umfunktioniert. Teilweise mit grossem Erfolg.

Das Visuelle macht auch vor den SchauspielerInnen oder SängerInnen nicht halt.

Die SängerInnen sollen heute vor allem schön sein, möglichst jung und schlank. In Insiderkreisen wird gespottet: "Das 25-jährige Model, das aussieht wie die Schiffer, singt wie die Netrebko, mindestens 10-Jahre Erfahrung mitbringt, aber nichts kosten darf und zu allem "ja" sagt..." oder auf den Mann bezogen: "Der 25-jährige hochgewachsene, schlanke Tenor, der singt wie Fritz Wunderlich, mindestens 60 Partien im Repertoire hat und 10Jahre Bühnenerfahrung mitbringt, aber nichts kosten darf..."

Je mehr eine Sängerin oder ein Sänger von der gängigen "Norm" abweicht, sei es nun durch die Hautfarbe oder den Körperbau, desto schwieriger haben sie es, Karriere zu machen unabhängig vom stimmlichen Können und musikalischem Potenzial. Oft schwebt den Leuten, die in Besetzungsfragen das Sagen haben ein ganz bestimmter "Typ" vor. Es wird vergessen, dass Menschen durch Maske, Perücke, Kostüme und mit dem nötigen schauspielerischen Talent sich glaubhaft verwandeln können.

Heute gibt es eine grosse Tendenz, die Leute in eine Schublade zu stecken. Und das nicht nur in meinem Beruf ! Dass sich Menschen weiterentwickeln können, wird oft vergessen, häufig auch gar nicht angestrebt.

Die Stimme sollte eigentlich wie ein richtig guter und wertvoller Wein sein: Über eine lange Zeit reifen. Doch heute würden alle am liebsten irgendetwas in den wertvollen Wein kippen, damit die Entwicklung schneller geht...das ist mitunter fatal und bleibt nicht ohne Folgen.


Es macht mich betroffen, dass schwarze Menschen und Menschen anderer Herkunft bis heute Rassismus erleben müssen. Es macht mich traurig und besorgt, dass hier in Mitteleuropa Rassismus wieder auf dem Vormarsch ist. Auf Samtpfoten schleicht er sich mitten in unsere Gesellschaft und vergiftet immer mehr Herzen. Ängste werden gezielt geschürt, Schuldige gesucht und vermeintlich gefunden. Haben wir wirklich nichts kapiert? Haben wir nichts aus der Geschichte gelernt? Sind wirklich immer "die Anderen" Schuld? Wer sind "die Anderen"? Oft jene, zu denen wir nicht einmal einen persönlichen Bezug haben: DIE Flüchtlinge, DIE Schwarzen, DIE Ausländer etc. Mit der Deklarierung "DIE" zeigt sich die entsprechende Gruppe als anonyme Masse.

Georg Floyd wird in diesen Tagen zum Symbol, dass hinter jedem rassistischen Akt ein Mensch aus Fleisch und Blut steht, dass mit jedem rassistisch motivierten Mord eine Familie betroffen ist, in Schock und Trauer zurückgelassen wird.

Um Georg Floyds Fall werden viele kritische Stimmen wach, die sagen, dass er kriminell gewesen sei, unter Drogen stand und nicht unschuldig, so dass er jetzt zu unrecht als "Held" für eine Bewegung herhalte und ein krimineller Mensch kein Märthyrer sein könne.

Ich kenne nicht die ganze Biographie von Georg Floyd, um ein abschliessendes Urteil über ihn und seine Geschichte zu fällen. Ich sehe ihn nicht als Held, aber als Mensch, der es nicht verdient hat, auf diese Art und Weise zu sterben.

Ich heisse auch nicht die Gewalt mancher Demonstranten gut, die die friedlichen Demonstrationen missbrauchen, um ihre Gewalt und Aggression auszuleben, die plündern und zerstören. Das finde ich ungerecht, weil es viele unschuldige Menschen trifft, deren Lebensgrundlagen zerstört und den eigentlichen Sinn der Demonstrationen/dieser Bewegung in ein völlig verzerrtes Bild rückt. Die friedlichen Demonstranten möchten aufmerksam machen auf die sozialen Ungleichheiten, die in den USA zum grossen Teil schwarze Menschen treffen. Es ist eine Tatsache, dass sehr viele schwarze Menschen in Armut leben. Eine Studie in Deutschland hat belegt, dass Menschen, die in Armut leben es ganz selten schaffen, sich aus der Armut zu befreien. Oft leben auch deren Kinder wieder in Armut. Arme Menschen haben oftmals einen schlechteren Zugang zu Bildung. Auf die USA bezogen bedeutet das, dass die meisten schwarzen Menschen es sehr schwer haben sich aus der Armut zu befreien und eine gute Ausbildung zu absolvieren, da in den USA eine Universitätsausbildung den einzelnen Studierenden SEHR viel Geld kostet. Wer in den USA also aus armen Verhältnissen kommt ist auf Stipendien angewiesen. Es ist wie eine Negativspirale, die die Armut mit sich bringt und wer sich aus dieser befreien kann, hat sehr viel Glück und noch viel mehr Stärke.


Trotz unserer guten Bildung, dem Wissen um die Benachteiligungen von Minderheiten und der Bemühungen um Ausgleich, haben es vor allem schwarze SängerInnen immer noch schwer, sich in unserer weiss geprägten, klassischen Gesellschaft zu behaupten und durchzusetzten.


Ich würde mir wünschen, dass wir offener werden für Vielfalt: Eine Vielfalt der Hautfarbe, des Aussehens, und der Geisteshaltungen. Ich würde mir wünschen, dass die stimmliche Leistung von SängerInnen mehr zählen würde, als deren Aussehen.

Wir müssen unsere Verantwortung wahrnehmen und zusehen, dass die nächste Generation nicht mehr Rassismus und Diskriminierung erleben muss, wie wir das heute noch und leider immer wieder erleben. Die Kultur hätte die Möglichkeit als Beispiel voran zugehen, indem sie Menschen anderer Herkunft und Hautfarbe genauso behandelt, wie allen anderen auch.

Ich wünsche mir eine Welt, in der Vielfalt als Bereicherung gesehen wird und nicht als Gefahr.

Eine Welt, in der der Tod von Georg Floyd, um einen Namen von unzähligen zu nennen, nicht umsonst war, der uns aufrüttelt etwas zu ändern und uns die Kraft und den Willen dazugibt. Der uns ermutigt, einen Weg zu finden, wie wir die Vielfalt unserer Welt vereinen und als Bereicherung erleben können. In der Gesellschaft. In den Kulturen. In der Musik.

Ich fürchte, es liegt noch sehr viel Arbeit vor uns...






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