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Burgdorf, Schweiz

Zum 100. Geburtstag vom Emmentaler Friedrich "Fritz" Dürrenmatt

Aktualisiert: 10. Apr. 2021



Minotaurus im Labyrinth, Friedrich Dürrenmatt. Quelle: researchgate.net


Wenn ich von Burgdorf, Schweiz auf der Landstrasse Richtung Thun fahre, passiere ich viele kleinere und grössere Dörfer mit ihren alten Bauernhäuser und Stöckli, die in die liebliche Landschaft des Emmentals mit seinen saftigen grünen Hügeln und den von dunklen Tannen geprägten Mischwäldern, die meistens auf den Hügeln stehen, so dass es wie Hügel-Haare ausschaut eingebetet sind. Manchmal sieht man in den steilen Hügeln auch Sandsteinfelsen hervorragen. Auf den saftigen Wiesen, welche die Strasse säumen, weiden Tiere, meistens Kühe. Nach einigen Kilometern gelangt man nach Grosshöchstetten. Von dort geht es lange bergabwärts bis nach Konolfingen im Emmental. Konolfingen ist ein sehr langgestrecktes Dorf mit Bahnhof. Das ist insofern bemerkenswert, da längst nicht alle Dörfer einen Bahnanschluss haben, und nur per Postauto, das dann ein paar mal pro Tag seine Runde dreht, erreicht werden können. Wenn wir unter der Bahnunterführung durch fahren gelangen wir zu einem Kreisel. Vom Kreisel aus können wir direkt einen kleinen, aber steilen Hügel zur stattlichen, weissen Kirche fahren mit dem hohen, schlanken Kirchenturm. Direkt daneben steht ein altes, Holzschindel verkleidetes Haus mit einer unauffälligen Gedenktafel für keinen geringeren als Friedrich "Fritz" Dürrenmatt. Entdeckt habe ich sie mehr zufällig 2016 als wir anlässlich der Taufe unserer Tochter da waren. Dürrenmatt wurde vor 100 Jahren am 5. Januar 1921 dort im damaligen Pfarrhaus geboren. Sein Vater Reinhold war Pfarrer. Damals hiess das Dorf noch Stalden im Emmental. Erst später wurde Stalden mit Konolfingen fusioniert. Aber das nur nebenbei.

Dürrenmatt verbrachte die ersten, prägenden Jahre seiner Kindheit im Emmental. Er sagt von sich selber: "Ich bin kein Dorfschriftsteller. Aber das Dorf brachte mich hervor, und so bin ich noch immer ein Dörfler mit einer langsamen Sprache, kein Städter, am wenigsten ein Grossstädter, auch wenn ich nicht mehr in einem Dorf leben könnte." Diese Sichtweise kann ich als Emmentalerin, die in Berlin wohnt, sehr gut nachvollziehen. Er hat auch recht, was die Schwere und Langsamkeit seiner Sprache anbelangt. Sie wirkt nie so leicht wie bei anderen, deutschsprachigen Schriftstellern und überschreitet manchmal die Grenze zum Derben, was nicht jedermanns Geschmack trifft. Wer das Emmental und vor allem das Berndeutsch, das dort gesprochen wird kennt, wird in Dürrenmatts Werken die Eigenart dieser Sprache auf Hochdeutsch wiederfinden. Das Berndeutsch des Emmentals ist breiter, "behäbiger", als jenes der Stadt Bern und durchaus durch eine gewisse Derbheit geprägt in der Umgangssprache. Die Vokale sind alle offen. Im Berndeutsch gibt es keine geschlossenen Vokale. Die Betonung der Worte erfolgen meistens auf der ersten Silbe: CD, PC, Telefon, Emmental usw. Und die Worte werden mit Genuss und langsam geformt. Sowieso findet man unter den Bewohnern des Emmentals nicht sehr viele gesprächige Menschen. Der Emmentaler zeichnet sich eher durch Schweigen und Beobachten aus, denn durch Smalltalk. Und Schnelligkeit in der Sprache und auch im Wesen ist meistens seine Sache nicht. Dafür ist er arbeitsam und verlässlich. Was er verspricht, das hält er auch. Mit diesem Menschenschlag hat Friedrich Dürrenmatt seine ersten Jahre verbracht, von dieser Sprache wurde er geprägt.

Erst mit der Berufung seines Vaters 1935 nach Bern brachte einen Ortswechsel mit sich. Dürrenmatt bezeichnet sich selber als Träumer und schlechter Schüler. Er habe sich nie die Dinge merken können und sei in der Schule schlecht mitgekommen, sagt er über sich.

Schon früh, noch in Konolfingen begann Dürrenmatt zu zeichnen und malen. Der dortige Maler förderte das Talent des Buben und Friedrich durfte das Atelier des Malers benutzen. Sein Stil könnte man durchaus dem Expressionismus zuordnen. Es erstaunt nicht, dass Friedrich Maler werden wollte. Die Bedingung seiner Eltern war, dass er die Matura (Abitur) machen solle. Also setzte sich Friedrich hin und lernte so lange und viel, bis er die Matura bestand. Doch nach der Matura zog es ihn dann doch zum Schreiben hin und das, weil seine Mutter, die viel von seinen Malerwerken hielt, diese einigen bekannten Malern unterbreitet hatte, die selber eher impressionistisch unterwegs waren und mit den Oeuvre des jungen Malers wenig anfangen konnten und darüber spotteten. Sie rieten ihm, erst einmal Äpfel oder ähnliches zu zeichnen und malen, statt andere Dinge jeglicher Art. Doch Äpfel abzuzeichnen interessierte Dürrenmatt herzlich wenig.

Sowieso interessierte ihn alles was gut bürgerlich war wenig, bis auf Dinge, die Genuss bereiteten, wie das Rauchen von dicken Zigarren und köstlichem Essen und sehr exklusivem Rotwein. Sein Weinkeller in seinem späteren Haus in Neuchâtel war legendär... Das Rauchen musste er später gesundheitsbedingt aufgeben und auch beim Essen hätte er nie masslos sein dürfen als Diabetiker, doch Fritz genoss in vollen Zügen und liess sich von seiner Gesundheit wenig vorschreiben...das hatte seinen Preis: Mit 48 erlitt er einen Herzinfarkt. Doch zurück zum jüngeren Dürrenmatt und seinem Werk:

Er suchte schon immer das Apokalyptische. In dieser Zeit lernte er die Werke von Brecht und Kafka kennen und schätzen, was sich später auch in seinem Stil zeigte. So studierte er erst mal in Bern und Zürich Naturwissenschaften, Philosophie und Germanistik. Er wohnte in einer Mansardenwohnung über der Wohnung seiner Eltern. Dazu muss ich sagen, dass Mansardenwohnungen in der Altstadt von Bern sehr typisch sind. Es sind Wohnungen unter dem Dach, die meistens aus einem Raum bestehen und manchmal auch Bedienstetenwohnungen gewesen waren. Sie wurden über das Treppenhaus unabhängig von der eigentlichen Wohnung erreicht.

Die Mansardenwohnung war sein kreatives Reich, deren Wände er bemalte. Als Dürrenmatts auszogen, wurden die Wände der Mansardenwohnung übermalt, doch einige Jahre später wurden die Gemälde wieder rekonstruiert. Bis heute ist diese Studentenbude legendär.

Mit der Heirat von Lotti Geißler und dem damit verbundenen Umzug nach Basel 1946 beschloss er endgültig Schriftsteller zu werden.

Dürrenmatt hatte den Ehrgeiz nur vom Schreiben zu leben. Das gestaltete sich in den ersten Jahren als schwierig. Einige Freunde, Unterstützer und Gönner erkannten dies und so kam es, dass er einer der ersten war, der durch Crowdfounding sich das Schreiben leisten und gleichzeitig seine wachsende Familie ernähren konnte. Viele Freunde, Bekannte, Gönner spendeten monatlich über drei Jahre einen gewissen Betrag und da das viele machten, kam gewissermassen ein Lohn für Dürrenmatt zusammen, der es ihm ermöglichte zu schreiben, ohne, dass ihn finanzielle Sorgen zu sehr beschäftigten. Und das tat er wirklich.

Man kann Dürrenmatt keine Faulheit vorwerfen, vor allem nicht in seinen ersten Schaffensjahren. Ich glaube, dass Dürrenmatt, ähnlich wie Kafka oder Brecht neue Wege beschritt. Klar, Brecht ist aus heutiger Sicht der Übervater des zeitgenössischen deutschen Theaters, doch Dürrenmatt hat nicht nur dessen Ideen aufgenommen, sondern auch weiterentwickelt. Besonders, weil es ihm wichtig war immer eine gewisse Distanz zum Leser, beziehungsweise seinem Publikum zu wahren. Sein Ziel war es, die Menschen aufzurütteln und zum nachdenken anzuregen. Er wollte nicht einfach unterhalten, sondern Denkprozesse anstossen und das schaffte er indem er gesellschaftlich widersprüchliche Gegebenheiten, Tabuthemen aufdeckte. Indem er auch die Gesellschaft und Politik provozierte und oftmals zu Recht kritisierte mit seinen Aussagen. Er schuf mit der Tragikomödie ein neues Genre. Die Helden in seinen Geschichten sind eigentlich Antihelden, wenn wir zum Beispiel an den Detektiv in "das Versprechen" denken, der daran zu Grunde geht, dass er das eine Verbrechen, das so klar zu sein schien, niemals wird aufdecken können.

Doch neue Dinge brauchen Zeit, bis sie sich etablieren und bewähren und der- oder diejenige die sie schaffen oftmals einen langen Atem. So auch Dürrenmatt. Die ersten Bühnenwerke die Komödie "Es steht geschrieben" und "der Blinde" floppten. Zum Glück liess er sich von den anfänglichen Rückschlägen nicht entmutigen und schrieb fleissig weiter. Erst Ende der 40er Jahr kam mit "Der Richter und sein Henker" die Wende und der Erfolg. Max Frisch entdeckte den jüngeren Kollegen und förderte ihn. Max Frisch und Dürrenmatt pflegten lange Zeit eine Arbeitsfreundschaft. Sie diskutierten und stritten sich, aber stets im Positiven und oftmals öffentlich. Sie fanden in diesen Disputen viel Inspiration und wertvolle Anregungen. Die Aussagen über den jeweils anderen wurden von der Presse auf eine Goldwaage gelegt. Später "Entfreundeten" sie sich wieder, wie es Dürrenmatt nannte und hatten nur noch sehr selten Kontakt. Doch in dieser Anfangszeit in den frühen 50er Jahre schrieb Friedrich Dürrenmatt unzählige Hörspiele, die für ihn die Haupteinnahmequelle waren. Mit dem Werk "Die Ehe des Herrn Mississippi" gelang ihm 1952 in Deutschland der endgültige Durchbruch. Im gleichen Jahr zog er mit seiner nun fünfköpfigen Familie in ein Haus am Neuenburgersee um. Welterfolg erlang er mit "Der Besuch der alten Dame".

Für Dürrenmatt blieben die Freundschaften mit Malern Lebenslang wichtig als Inspirationsquelle. Ein sehr wichtiger Freund war Willy Guggenheim, Varlin genannt. Dürrenmatt sagt, dass er erst durch Varlin beobachten lernte. Er hielt für ihn auch eine Rede, als Varlin 1967 einen Preis der Stadt Zürich entgegen nahm.

Nebenbei drückte sich Dürrenmatt weiterhin über Gemälde und Zeichnungen aus, wollte diese aber nicht ausstellen. Die meisten Werke sind seiner Frau Lotti gewidmet.

Erst 1976 liess er sich von seinem Freund dem Hotelier und Koch Hans Liechti überreden eine halbprivate Ausstellung seiner Bilder zu organisieren. Die Ausstellung wurde so erfolgreich, dass Dürrenmatt zwei Jahre später in der renommierten Zürcher Galerie Daniel Keel eine weitaus umfassendere Ausstellung gestalten konnte.

1983 starb Lotti an den Folgen von Alkoholismus und Depressionen. Ihr Tod erschütterte Dürrenmatt zutiefst und er lenkte sich mit Arbeit ab unter anderem mit den Dreharbeiten zu einer Dokumentation über ihn, unter der Regie von Charlotte Kerr. Die Arbeit war offensichtlich so intensiv und auf beiden Seiten fruchtbar, dass die beiden 1984 heirateten. In seinen letzten Lebensjahren schrieb Dürrenmatt weiter viel, aber nicht sehr viel erfolgreiches. Einige Wochen vor seinem 70. Geburtstag schlugen die Wellen noch einmal hoch, als er die Schweiz als Gefängnis bezeichnete bei einer Laudatio für den Ungarischen Schriftsteller Václav Havel.

Kurze Zeit später am 14.12.1990 starb Dürrenmatt an Herzversagen, drei Wochen vor seinem 70. Geburtstag.

Bis heute ist Dürrenmatts Literatur unvergessen und gehört zur Pflichtlektüre in den Schulen. Das ist einerseits schmeichelhaft anderseits lässt sich Dürrenmatts Schaffen nicht nur auf die Schule reduzieren. Dazu ist es zu komplex.

Unzählige Werke von ihm wurden verfilmt. Viele Werke liegen als Hörbuch, als geschriebenes Werk oder in verschiedenen Ausgaben vor.

Sein Leben war schon damals und aus heutiger Sicht sowieso, eher unaufgeregt. Umso reicher war sein Innenleben, das durch unzählige Bilder und innere Dramen belebt wurden, die er in seine Sprache umformte und niederschrieb in Hörbücher, Erzählungen, Romane, Theaterstücke, Essays, autobiographische Abhandlungen. Über 1700 Zeichnungen und Gemälde ergänzen sein kreatives Lebenswerk. Die Erzählung von Minotaurus faszinierte ihn besonders:

In der Tragödie des Minotaurus, der in einem Labyrinth wohnt und dort dem verkleideten Theseus begegnet und glaubt, endlich ein Wesen seiner Art gefunden zu haben, das sich nur durch den Dolch von ihm unterscheidet, der sich in sein Herz senkt, als er dem anderen in die Arme fällt und ihm somit den Tod bringt, das ist für ihn das Thema des Menschseins schlechthin. Diese Parabel floss in viele seiner Zeichnungen ein. Es zeigt einen Teil seiner komplexen Gedankenwelt in der er sich trotz aller Pragmatik ständig befand.

Er hinterfragte alltägliches, auch die Gesellschaftsstrukturen seiner Zeit. Er kritisiert die neutrale Haltung der Schweiz während des zweiten Weltkriegs. Er schaffte es einen ganz eigenen und eigenwilligen Blickwinkel auf die Szenen zu werfen und diese zu beleuchten. In allen Werken finden wir seinen Humor und Schalk wieder, der auch bei aller Ernsthaftigkeit durchschimmert, so dass ich als Leserin schmunzeln muss. Die Themen seiner Werke haben meines Erachtens nicht an Aktualität verloren und sind weit über die Grenzen der Klassenzimmer lesenswert.

I däm Sinn: Aus Guete zum Geburi, "Fritz" Dürrenmatt! Uf die nächschte 100!

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